Kleines Gebiet, große Folgen: Der Feldzug der Türkei gegen die Kurden in der nordsyrischen Grenzprovinz Afrin ist eine Zäsur. Ein Einschnitt in der sonst eher zurückhaltenden Militärpolitik der Türkei und eine neue Wende im nun seit sieben Jahren dauernden Krieg in Syrien. Ankara ist im Begriff, den einzigen Waffenverbündeten der USA auf dem so komplizierten syrischen Kriegsschauplatz zu demontieren. Das Afrin-Abenteuer sagt viel über die Stümperhaftigkeit der US-Regierung und über das neue Selbstverständnis der Türkei von Tayyip Erdoğan.

Dass der zweitgrößten Armee in der Nato die Besetzung der syrischen Provinz und die Vertreibung der Kurdenmiliz YPG gelingen sollte, darf man annehmen. Es mag vielleicht länger dauern, als der bloße Blick auf die Landkarte suggeriert. Ähnlich wie bei der "Operation Euphratschild" der Türkei weiter östlich von Afrin in den vergangenen zwei Jahren.

Rein türkische Unternehmung

"Euphratschild" aber hatte eine gewisse Unterstützung der USA und die Billigung Russlands. Es ging vor allem gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien. Dieser Feldzug gegen die Kurden in Afrin jedoch ist eine rein türkische Unternehmung: Innenpolitik, Machtpolitik, Abnabelung vom Nato-Verbündeten USA und dem Westen.

Die Türkei ist in der Vergangenheit wohl immer wieder mit Truppen in den Nordirak eingedrungen, um Stellungen und Lager der PKK zu zerstören. Dafür hat sie sich auf Artikel 51 der UN-Charta berufen, auf das Recht zur Selbstverteidigung: Die PKK organisiert vom Nordirak aus Terroranschläge in der Türkei. Auch beim Angriff auf die syrische Provinz Afrin geht es um die PKK, so versichert die türkische Führung unermüdlich. PKK und syrische Kurdenmiliz YPG seien dasselbe. Das ist nicht einfach von der Hand zu weisen. Organisatorische Verbindungen gibt es.

Angebliche Belege für eine Beteiligung syrischer Kurden an Terrorakten in der Türkei in den vergangenen Jahren werden von Experten gleichwohl angezweifelt. Irgendeinen Sinn hat es auch nicht: Die YPG hat im Bürgerkriegsland Syrien anderes zu tun, als Anschläge in türkischen Großstädten zu planen, sollte man meinen. Doch es geht ja noch um anderes.

Bedrohung für den Staat

Ein politisch und militärisch eigenständiges Kurdengebiet in Syrien wollen die nationalistisch gesonnenen Türken bekanntlich nicht hinnehmen. Sie sehen darin eine Bedrohung für den Bestand ihres Staates. Die mehrheitlich kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei würde sich abspalten, heißt es. So bekämpft Ankara lieber die Kurden, als ihre Sache zu kooptieren.

Die Amerikaner wissen das auch. Trotzdem bewaffneten sie die YPG-Miliz in Syrien. Die "Volksstreitkräfte" waren eben die einzige verlässliche Truppe im Kampf gegen den IS. Nur tat die US-Regierung nichts, um das Dilemma für die Türken wieder aufzulösen. Donald Trump versprach Erdoğan, die Waffenlieferungen zu stoppen. Er tat es nicht. US-Generäle kündigten dagegen den Aufbau einer Grenztruppe im Norden Syriens an. Die YPG würde das zentrale Element sein. Das war den Türken zu viel.

Mit dem Angriff auf Afrin bricht die Türkei auch einen Krieg gegen den großen Rest des Kurdengebiets in Syrien los. Das schwächt die USA und stärkt Russlands Hand. Moskau billigt die Afrin-Operation. Die Türkei, so erwarten die Russen, wird ihren Platz an Syriens Machthaber Bashar al-Assad abtreten. (Markus Bernath, 22.1.2018)