Mehr als vierzig Jahre lang wurden hier die letzten Ruhestätten für Tote gefertigt; die letzten drei Jahre wurde in der Breitenfurter Straße 176 in Wien-Liesing das Leben zelebriert. Motto: Kultur statt Särge. In der zwischen 1913 und 1916 erbauten und heute denkmalgeschützten Sichtziegelanlage gab es zuletzt Bauernmärkte, Zirkusaufführungen, Theaterstücke – unter anderem waren die Wiener Festwochen zu Gast –, Konzerte und jede Menge Raum für neue Ansätze und Experimente, für Austausch und Diskurs. Bis August wird das Areal noch vom Verein F23 zwischengenutzt. Im Frühjahr stehe besonders viel Kinderprogramm an, sagt Initiatior Erich Sperger, der zuvor das Kabelwerk in Meidling mitbegründet und viele Jahre als künstlerischer Leiter geführt hat. Was in den nächsten Jahren mit dem rund 6.500 Quadratmeter großen Gelände passieren soll, wird dieser Tage entschieden.

Eine der Fabrikshallen, in denen seit gut drei Jahren Kunst und Kultur eingezogen sind.
Foto: Markus Steinbichler

Die kulturelle Zwischennutzung dürfte nicht nur bei den Liesingern, sondern auch beim Bezirk gut angekommen sein. Denn in der Ausschreibung für das Interessentenauswahlverfahren, die dem STANDARD vorliegt, wird betont, dass nach Nutzungen "mit einem kulturellen Schwerpunkt" gesucht wird, "die auch für die (künftigen) BewohnerInnen in der Nachbarschaft einen Mehrwert bedeuten". Die Notwendigkeit von konsumfreien Zonen wird hervorgehoben, ergänzende gewerbliche Nutzungen (Gastronomie, Büros, Sport- und Freizeitnutzung) sind aber nicht ausgeschlossen. Ziel ist laut Eigentümer Wohnfonds Wien, das Grätzel zu attraktivieren und zu beleben, dabei das stadtbildprägende Ambiente der ehemaligen Sargfabrik aber zu übernehmen. Das Fabriksgebäude solle erhalten und saniert werden.

Die Sichtziegelanlage wurde zwischen 1913 und 1916 von Hubert Gessner erbaut und war von 1966 bis 2013 eine Sargfabrik der Stadt Wien.
Foto: von Usslar

Wer die alte Fabrik haben will

Interessenten für die Übernahme gab es einige, in die zweite Verfahrensstufe haben es drei Beiträge geschafft:

Sperger, der die Fabrik auch weiterhin als Kulturprojekt – mit Gastronomie und Büros – nutzen will und auf den Erfahrungen der Zwischennutzung aufbauen könnte. Finanziell ist sein Verein auf die Unterstützung des Bezirks angewiesen, die notwendige Sanierung wäre nur auf diese Weise möglich.

Die Soravia-Immobiliengruppe ist da wirtschaftlich besser aufgestellt. Das Kärntner Unternehmen hat auch Erfahrung mit denkmalgeschützten Immobilien und Kultur in Wien: Die Bauunternehmer erhielten 2010 zwei Millionen Euro aus der Wiener Kulturförderung, um die Sofiensäle zu revitalisieren und neue Kunst- und Kulturangebote zu schaffen. Allerdings: Ateliers und Ausstellungen gibt es heute keine, dafür ist der Saal für Kongresse und "Traumhochzeiten" buchbar.

Der dritte Interessent ist die Firma Interspot, eine Produktionsfirma für Film, Fernsehen und Werbung, die das Hauptquartier in der Nachbarschaft der Fabrik hat.

Im September war der Rhizomatic Circus, ein Kollektiv der freien Wiener Zirkusszene, zu Gast.
Foto: von usslar

Ein stark wachsender Bezirk

Aus stadtplanerischer Sicht wird es spannend, welche Idee sich durchsetzt – ein öffentlicher, niederschwellig zugänglicher Kulturort oder eher die Richtung der hochpreisig-wirtschaftlichen Umsetzung. Denkbar sind auch Kooperationen zwischen den Beiträgen. Zu stärkeren Abweichungen zwischen Ausschreibung und Umsetzung ist es schon öfter gekommen. Der Auslober, also der Wohnfonds Wien, übernimmt jedenfalls keine Garantie hinsichtlich der tatsächlichen Realisierbarkeit des ausgewählten Projektes.

Die Nachbarschaft wird in den kommenden Jahren jedenfalls massiv wachsen. In Liesing sind in den kommenden Jahren zahlreiche große Wohnungsprojekte geplant. Allein in unmittelbarer Nähe der Fabrik werden mehr als 3.000 neue Wohnungen gebaut. Außerdem wird im an die Fabrik angrenzenden Betriebsgebiet ein Bildungscampus errichtet – vom Kindergarten bis zur neuen Mittelschule. Nur die Nachbarn stehen noch nicht fest. (lhag, 24.1.2018)