"Wenn ich Glück habe, habe ich so geplant, dass meine Idee den Erstkontakt überlebt." Sandra Purtscher über Spontanität im Kindergarten.

Foto: Regine Hendrich

Ihren rechten Unterarm hat Sandra Purtscher im neuen Job zunächst unter langärmeligen T-Shirts versteckt. Als der Sommer kam, fragten die Eltern, warum sie keine leichtere Bekleidung wähle. Weil sie mit der Antwort kein Problem hatten, lässt Frau Purtscher ihre wilde Tätowierung heute ganz selbstverständlich unterm Ärmel hervorblitzen. Ohrpiercings und ein seitlich kurz geschorener Haarschnitt komplettieren das Bild der 35-jährigen Kindergartenpädagogin.

Sandra Purtscher ist eine von rund 20.000 Elementarpädagoginnen in Österreich. Inklusive Hortpädagoginnen sind es exakt 18.657, weil aus Wien keine Informationen vorliegen, kann die Statistik Austria hier keine Zahlen nennen. Wenn von ihnen die Rede ist, kann man getrost die weibliche Form der Berufsbezeichnung wählen, schließlich stellen Frauen hier die große Mehrheit.

Neu begonnen

Heute, Mittwoch, begehen sie "ihren" Tag, den Tag der Elementarpädagogik. Erstmals ausgerufen, weil? Weil es der Berufsgruppe nur schwer gelingt, auf sich und ihre Anliegen, die stark mit jenen der Kleinsten in der Gesellschaft korrelieren, aufmerksam zu machen. Es geht dabei um Gruppengrößen, Zeit für Vor- und Nachbearbeitung, die Ausbildung der Pädagoginnen und um deren Bezahlung. Sandra Purtscher kennt die Themen alle.

Dabei war ihr Einstieg in den Beruf ein untypischer. Pädagogin wurde sie erst auf dem zweiten Bildungsweg. Die gelernte Industriekauffrau merkte irgendwann: "Allein am Schreibtisch diverse Produkte hin- und herzuschieben, zu denen ich keinen Bezug habe, war nicht der Job, den ich auf Dauer machen wollte." Mit 21 hat Sandra Purtscher noch einmal neu begonnen. Dass die Bezahlung künftig nicht mit dem alten Job mithalten wird, war ihr klar.

Lieb und gar nicht teuer

Rund 2100 Euro brutto verdient eine Pädagogin in einem öffentlichen Wiener Kindergarten im ersten Arbeitsjahr. In Gehaltsstufe 20 bekommt man 3641 Euro. Bei der Diakonie, Trägerin des Kindergartens, in dem Frau Purtscher arbeitet, verdient die Pädagogin mehr, aber immer noch rund 500 Euro weniger im Monat als die Kolleginnen in der Industrie. Die gebürtige Deutsche hat ihre Ausbildung in Nürnberg absolviert. Psychologie, Erziehungswissenschaften und intensive Praxiserfahrung standen auf dem Lehrplan. Vorbereitet war sie trotzdem nicht auf alles.

Etwa auf die Elterngespräche. "Mein eigenes Schuljahr war im August zu Ende, im September geht das neue Kindergartenjahr los. Man selbst ist unerfahren, hat noch nie eine Gruppe eingewöhnt. Gleichzeitig wollen die Eltern umfassend informiert werden. Die bekommen dann schnell mal das Gefühl, da sitzt eine inkompetente Pädagogin. Ernstgenommen zu werden von den Eltern war auch für mich sehr schwierig, obwohl ich nicht mehr ganz so jung war."

Den Ruf nach einer universitären Ausbildung, wie ihn die Berufsgruppe für Kindergarten- und Hortpädagoginnen erhebt, unterstützt Frau Purtscher nur mit Vorbehalt: "Da hab ich gemischte Gefühle, weil ein hoher Praxisanteil extrem hilfreich ist. Meine Sorge ist, dass das dann zu kurz kommt."

Die Frage, die bei dieser Debatte stets mitschwingt, lautet: Muss man für die Arbeit mit Klein- und Kleinstkindern studieren? Für manche Kinder ist Frau Purtscher die "Tante". "Aber nur am ersten Tag. Dann nennen sie mich beim Vornamen." Was sich "für Kinder wahrscheinlich emotional verbindet", konterkariere in der öffentlichen Diskussion das Bemühen, den Kindergarten nicht als Betreuungs-, sondern vor allem als Bildungseinrichtung zu sehen.

Das Klischeebild von der bastelnden, singenden Tante wischt Sandra Purtscher leicht mit dem tätowierten Unterarm beiseite. Wenn sie Frühdienst hat, beginnt ihr Tag um sieben Uhr morgens. Als Leiterin muss sie sich zunächst um die Personalplanung kümmern, muss bei Krankheitsfällen im Team für Ersatz sorgen.

Organisieren, dokumentieren

Weil die Leiterin für die Organisation des Kindergartens nur wenige Stunden zur Verfügung hat, ist sie auch aktiv in den Gruppen tätig. Hier nimmt das Freispiel eine wichtige Rolle ein. "Das ist die Zeit, in der wir beobachten können, was interessiert die Kinder, wie spielen und agieren sie, wenn sie nicht erwachsenengesteuert sind. Das ist extrem wichtig: genau hinzusehen, zu dokumentieren, Interessen herauszufinden und daraus das weitere Programm zu entwickeln."

Aber mit dem Planen ist das so eine Sache: "Wenn ich Glück habe, habe ich so geplant, dass meine Idee den Erstkontakt überlebt, und ich merke, es macht den Kindern Spaß. Ich muss aber auch sensibel sein und merken, wenn es gerade nicht passt. Etwa wenn ich mir einbilde, ich mache ein Bastelangebot, die Kinder haben aber aus dem Garten ein Insekt gebracht. Da kann ich noch so dringend basteln wollen, aber jetzt ist der Käfer wichtiger."

Für 20 Stunden stehen den Pädagoginnen hier an der Neuen Donau Assistenzkräfte zur Verfügung. Deren Ausbildung variiert je nach Bundesland, in Wien etwa gibt es keine verpflichtende Ausbildung. "In den Randzeiten ist das so eingeplant, dass die Pädagogin allein in einer Gruppe mit 25 Kindern steht", sagt Frau Purtscher. Hochwertige Bildungsarbeit könne da nicht stattfinden.

Frage der Gefahrenabsicherung

Sie selbst wäre mit der Leitungsfunktion "voll ausgefüllt". Spontane Elterngespräche, Coaching für die Kolleginnen: "Das alles kann ich nicht leisten, wenn ich in der Gruppe stehe."

Hinzu kommt der Druck in Sachen Gefahrenabsicherung. Vor kurzem bekam wieder eine Pädagogin eine Verletzung der Aufsichtspflicht höchstgerichtlich bescheinigt, weil sich ein Mädchen beim Turnen den Arm gebrochen hatte. "Wenn man solche Urteile liest, bekommt man schon ein einen Knoten im Bauch." Frau Purtscher überlässt lieber nichts dem Zufall: "Wir fahren schon mal den Weg vorher allein ab, um zu wissen, wo mögliche Gefahrenquellen sind." Außerhalb der Arbeitszeit versteht sich. (Karin Riss, 24.1.2018)