St. Pölten – Die Dreifaltigkeit ist selbst in Niederösterreich außer Tritt geraten. Der Landesvater, die Niederösterreichischen Nachrichten, kurz NÖN, und der ORF Niederösterreich gaben über Erwin Prölls Jahrzehnte ein perfekt eingespieltes Team der Verkündigung im größten Bundesland.

Wie rund es lief, zeigt sich, wenn etwas aus der gewohnten Bahn springt: Das Landeshauptblatt wirft 2017 überraschend den Chefredakteur hinaus, mit 56, nach 30 Jahren bei der NÖN, 22 davon in Führungsjobs und zwölf als Chefredakteur. So etwas kann vorkommen, selbst bei einem erfahrenen Kenner des Systems. Aber: Martin Gebhart musste gehen, ohne dass der Landeshauptmann, nun Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, davon in Kenntnis gesetzt wurde.

Das wäre an sich ein Vorgang von beruhigender Normalität in der Medienwelt. In Niederösterreich freilich irritierte die Ablöse des NÖN -Chefredakteurs die regierende ÖVP spürbar. Man möchte sich den Vorgang nicht in den Jahrzehnten des Landesvaters Erwin Pröll vorstellen. Die Irritation zeigt, wie rund es bisher lief zwischen Politik und Landesblatt.

Langzeitlandeshauptmann Erwin Pröll und Nachfolgerin Johanna Mikl-Leitner 2017 im niederösterreichischen Landtag.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Chefredakteure im Monatstakt

Und es wäre da weiter rundgelaufen, wären nicht Gratiskonkurrenz und Medienwandel selbst in die geordnete kleine Medienwelt des größten Bundeslandes gekommen. Sonst wäre die regionale Wochenzeitung, die im Besitz der Diözese St. Pölten, deren Presseverein und Raiffeisen steht, wohl noch immer profitabel wie in alten Zeiten.

Die NÖN, über Jahrzehnte kostengünstig gefüllt mit einer Handvoll professioneller Journalisten und Scharen von Nebenerwerbsschreiberinnen und -schreibern in den Bezirken, Lehrern etwa, hatte es sich gut eingerichtet. Neben der Krone, die auch in Niederösterreich den Tageszeitungsmarkt dominiert, und dem Kurier, beide ebenso vertraut mit dem Landeschef und den Inseratenbudgets des Landes.

Doch ab 2001 drängen die kostenlosen wöchentlichen Bezirksblätter auch in diesen Markt, die heute dem österreichweiten Gratiszeitungsring RMA von Styria und Tiroler Moser Holding gehören. 2003 lasen 53 Prozent im Land die NÖN, 2016 noch 34. Die Bezirksblätter erreichen da gut 48 Prozent.

Der mehrheitlich Raiffeisen gehörende Kurier macht der NÖN seit 2017 mit einem wöchentlichen Farbmagazin für Niederösterreich im Anzeigenmarkt Konkurrenz. Neuer Redaktionsleiter: Martin Gebhart. Bei der NÖN wechselten nach seinem Abgang die Chefredakteure 2017 zweimal.

Alte Ordnung im Äther

Im Äther indes ist die niederösterreichische Welt in ihrer alten Ordnung. Kamerateams und tunlichst auch der Landesdirektor des ORF in der Bugwelle des Landeshäuptlings. 2016 verlieh Erwin Pröll ORF-Direktor Norbert Gollinger das Goldene Komturkreuz des Landes, dankte ihm "herzlich für deine jahrzehntelange Begleitung". "Treuer Begleiter" nannte Pröll den ORF-Manager, und das klingt nach dem besten Freund des Landeshauptmanns.

ORF-Landesstudios sind in allen Bundesländern die wichtigste mediale Bühne der Landespolitik. ORF-Chefs müssen den Landeshauptmann anhören, bevor sie dem Stiftungsrat einen ORF-Landesdirektor vorschlagen. ORF-Generaldirektoren brauchten oft schon Stimmen von ORF-Stiftungsräten der Bundesländer, um bestellt oder wiederbestellt zu werden. Niederösterreich wird von jeher eine besondere Nähe zur Politik nachgesagt.

Der Jojo-Effekt der ÖVP

Die Medienbeobachter von MediaAffairs analysieren die täglichen Regionalnachrichten Niederösterreich heute im Auftrag der Grünen, die Rechercheplattform Dossier veröffentlichte am Donnerstag bemerkenswerte Erkenntnisse.

Jeweils vor Wahlen – wenn die kritische Öffentlichkeit genauer hinsieht – geht die sonst gewaltige Präsenz der ÖVP in der Regionalsendung merklich zurück. Von 65 Prozent aller Parteipräsenz im August 2017 etwa auf 37 Prozent im Nationalratswahlmonat Oktober, im November waren es wieder 61 Prozent, im Dezember, Richtung Landtagswahl, sank sie wieder auf 47,4 Prozent.

"Üblicherweise messen wir für Regierungsparteien Werte von bis zu 70 Prozent Anteil an der Berichterstattung, in Niederösterreich messen wir das manchmal für die ÖVP alleine", sagt MediaAffairs-Geschäftsführer Walter Schwaiger Dossier.

Der TV-Analyst über den Jojo-Effekt in der Präsenz der niederösterreichischen Volkspartei: "Je näher wir zu einer Wahl kommen, umso paritätischer wird die Berichterstattung, umso mehr Aufmerksamkeit bekommen dann auch die Oppositionsparteien."

Landeshauptfrau Mikl-Leitner (ÖVP) kam laut MediaAffairs im Dezember 2017 9,9 Minuten in Niederösterreich heute vor. SPÖ-Landeschef Franz Schnabl 3,7 Minuten, Helga Krismer drei Minuten, Udo Landbauer (FPÖ) 2,2 MInuten und Mikl-Leitners Landeshauptmann-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) 1,5 Minuten.

ORF-Landesdirektor Norbert Gollinger erklärte Dossier dazu,, es liege in der Natur der Sache, dass Regierungsvertreterinnen und -vertreter öfter präsent sind als jene der Opposition. Sekunden zu zählen sei eine fragwürdige Methode, sich mit journalistischer Arbeit auseinanderzusetzen.

Miteinander und Lächerlichkeit

Man kann zur Auseinandersetzung mit journalistischer Arbeit zum Beispiel auch die Einstiegsfragen an Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und SPÖ-Landesparteichef Franz Schnabl in der Diskussion der Spitzenkandidaten zur Landtagswahl am Sonntag zitieren.

Landesstudio-Chefredakteur Robert Ziegler begleitete Mikl-Leitner mit deren zentraler Wahlkampfbotschaft so ein: "Frau Landeshauptfrau, Frau Mikl-Leitner, Sie haben in diesem Wahlkampf ja auf Angriffe verzichtet, haben immer wieder gesagt, es geht um das Miteinander, das Wir, und haben zuletzt auch formuliert, dass eine absolute Mehrheit die die ÖVP in den vergangenen Jahrzehnten gehalten hat, gar nicht mehr erreichbar sei. Was ist denn ihr Wahlziel für den kommenden Sonntag?"

Kollegin Claudia Schubert stellte Schnabl daraufhin diese Frage: "Herr Schnabl, die SPÖ geht von einem historischen Tiefststand aus. Die SPÖ ist aufgefallen mit eher ungewöhnlichen Plakaten. Sie sind da Grimassen schneidend zu sehen, manche Plakate erinnern auch an die Faschingszeit. Parteiintern ist diese Kampagne diskutiert worden. Und Politikexperten haben auch die Gefahr gesehen, dass man sich da in die Lächerlichkeit begibt. Was wollen Sie denn erreichen am Sonntag?"

Eine Frage nach Schnabls etwas eigenwilliger Kampagne – mit eingeblendetem Sujet – drängte sich grundsätzlich auf.

Plakat-Ausschnitt der Wahlkampagne der SPÖ in Niederösterreich.

TV-Quoten: Vorletzter Platz

Die laut MediaAffairs-Chef Schwaiger "sehr außergewöhnlichen" Präsenzwerte der ÖVP in Niederösterreich stehen traditionell unterdurchschnittliche TV-Marktanteilen der Sendung in Vergleich mit anderen Regionalnews der ORF-Landesstudios gegenüber.

Marktanteile im jeweiligen Stammbundesland.

Regionalnachrichten über das ohnehin als (bundespolitische) Hauptstadt Wien tun sich sichtlich schwer. Niederösterreich (und teils auch das Burgenland) haben beim Publikum das Handicap, dass die Bewohner von Gemeinden (im immer größerem Umkreis) um Wien mehr Richtung Hauptstadt schauen als in die Landeshauptstadt und in die Regionen des Bundeslandes. Daran konnte auch Erwin Pröll nichts ändern. (fid, 25.1.2018)