Bei seinen Wien-Besuchen tauschte sich Einstein mit dem Physiker Felix Ehrenhaft, und den Gelehrten Ernst Mach und Kurt Gödel aus.

Foto: ORF/EPO Film

Wien – "An allen Ecken und Enden kam Albert Einstein vor", erinnerte sich der Mathematiker Karl Sigmund an die Vorbereitungen für sein Buch und seine Ausstellung über den Wiener Kreis. Daher folgt er nun im Film "Einsteins Wien" gemeinsam mit seiner Frau, der Historikerin Anna Maria Sigmund, den Spuren des Physikers in der Bundeshauptstadt. Die Dokumentation ist am 30. Jänner in ORF III zu sehen.

Auch wenn der Titel anderes suggeriert – Wien selbst hatte keine große Bedeutung für Albert Einstein (1879-1955) gehabt, nur fünf Mal war der Physiker jeweils für ein paar Tage in der Stadt. "Dagegen haben Wiener Physiker und Philosophen eine umso größere Rolle gespielt, das war ein perfekter Resonanzboden für Einstein", sagte der an der Uni Wien emeritierte Mathematiker Sigmund im Gespräch mit der APA.

2015 hat Sigmund ein Buch über den "Wiener Kreis" genannten philosophischen Zirkel herausgegeben, der in den 1920er Jahren zu einer intellektuellen Hochblüte kam, und im selben Jahr eine Ausstellung an der Uni Wien zu dem Thema gestaltet. Sowohl im Buch als auch in der Schau fanden sich zahlreiche Bezüge zu Einstein "und ich dachte mir, ich hätte ein eigenes Buch darüber schreiben sollen, aber da war es schon zu spät." So entschied er sich, das Material für einen Film zu verwenden.

Ernst Mach als Einsteins "geistiger Ziehvater"

Für die 45-minütige Dokumentation, die im Rahmen der Serie "Erbe Österreich" ausgestrahlt wird, hat sich Sigmund an die Fersen von Wiener Weggefährten des berühmten Physikers geheftet: In fünf Kapiteln widmet er sich Einsteins "geistigem Ziehvater" Ernst Mach, seinem "Jugendfreund" Friedrich Adler, den Beziehungen zu Wiener Physikern wie Hans Thirring, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli oder Lise Meitner, dem Wiener Kreis mit Einsteins "Evangelisten und Hausphilosophen" Moritz Schlick und schließlich dem "engsten Begleiter und Freund in Einsteins letzten Jahren" in Princeton (USA), Kurt Gödel.

Dieser Spur folgt der Wiener Astronom Franz Kerschbaum auf einer Tour durch das nächtliche Wien (Sigmund: "Weil in der Nacht alles viel schöner ist und ich mir immer die Nacht vorstelle, wenn ich über das Universum nachdenke"). Auf seinem Motorroller führt er zu den diversen Schauplätzen, etwa zum Haus des Physikers Felix Ehrenhaft in der Grinzinger Straße, wo Einstein zwischen 1927 und 1931 mehrmals zu Gast war, oder zum Neuen Markt, wo im Restaurant des Hotels Meissl & Schadn Einsteins Freund Friedrich Adler am 21. Oktober 1916 aus Protest gegen die Kriegspolitik der Regierung Ministerpräsident Karl Graf von Stürgkh erschossen hat.

"Genügend Morde für einen 'Tatort"

Es war nicht die einzige Gewalttat im Umfeld von Einsteins Weggefährten: einer der führenden Köpfe des Wiener Kreis, Moritz Schlick, wurde am 22. Juni 1936 von seinem ehemaligen Studenten Hans Nelböck im Hauptgebäude der Uni Wien erschossen – für Sigmund sind das "genügend Morde für einen ganzen 'Tatort'".

Filmaufnahmen von Einsteins Wien-Aufenthalten gibt es offensichtlich nicht. Die Dokumentation zeigt aber viele Fotos, etwa von Einstein, wie er im Vorlesungssaal des Physik-Instituts Ecke Boltzmanngasse, Strudlhofgasse sitzt – nicht als Stargast, sondern mitten unter Kollegen in der zweiten Reihe, oder der Physiker beim Musizieren im Hause Ehrenhafts.

Ausgangs- und Endpunkt der nächtlichen Tour ist der Wiener Wurstelprater mit seinen Ringelspielen und sonstigen rotierenden Attraktionen. Denn auch Einsteins Physik zieht sich als roter Faden durch die Dokumentation, das Wechselspiel von Trägheits- und Fliehkräften sowie rotierende Massen. In Wien sind das natürlich Walzer tanzende Paare, aber Kerschbaum weist auch auf ein Schild der Prater-Attraktion "Calafati-Rotor" hin, wo der Satz steht: "Im Rotor wird die Schwerkraft von der Fliehkraft abgelöst" – für den Astronomen "die Allgemeine Relativitätstheorie in einem Satz".

Während also im Prater – unbewusst – Einsteins Erbe hochgehalten wird, zeigt sich an einem anderen Weggefährten Einsteins, wie nachlässig Österreich mit seinem wissenschaftlichen Erbe umgeht. Darauf weist der US-Physiker und Kognitionsforscher Douglas Hofstadter im Kapitel über Kurt Gödel hin, den Einstein einmal als "größten Logiker seit Aristoteles" bezeichnet hat. Hofstadter, Autor des Buchs "Gödel, Escher, Bach", versteht nicht, warum es in Wien noch immer keine Gödelgasse oder -platz gibt, "warum ist er nicht gewürdigt hier in Wien, das ist ja komisch." (APA, 24.1.2018)