Wien – Die Untersuchung von Erbmaterial uralter menschlicher Überreste hat der Wissenschaft enorme Fortschritte eingebracht: Sie hat einen ganz neuen alten Menschenschlag enthülltt, gezeigt, dass von den Neandertalern doch noch nicht alles ausgestorben ist und viele andere Kapitel der Menschheitsgeschichte umgeschrieben. Ron Pinhasi, ein Experte in diesem Forschungsbereich, arbeitet seit kurzem an der Universität Wien und erklärte, was er damit schon alles entdeckte.

Die ersten Bauern mussten hart arbeiten

Der Ire Pinhasi, der am Department der Anthropologie der Uni Wien forscht und am Mittwoch (24.1.) eine öffentliche Antrittsvorlesung hält, hat sich zunächst mit alten Knochen beschäftigt. Er studierte ihre Maße und Feinstrukturen, um etwa herauszufinden, dass die Umstellung vom Jagen und Sammeln zur Landwirtschaft in der Jungsteinzeit die Lebensbedingungen der Menschen nicht gerade zum Positiven wandelte: sie waren auf einmal kleiner und schmächtiger als ihre Vorfahren, die wohl eine ausgeglichenere Nahrung zur Verfügung hatten. Außerdem mussten sie sehr hart arbeiten: Steinzeit-Bäuerinnen hatten stärkere Arme als heutige Spitzen-Ruderinnen, berichtete er erst kürzlich in einer Publikation.

Als es vor einigen Jahren möglich wurde, das gesamte Erbgut (Genom) von Menschen und anderen Organismen in kurzer Zeit und für vergleichsweise wenig Geld auszulesen (sequenzieren), entdeckten Kollegen von ihm etwa, dass alle heute lebenden Menschen, die nicht aus Afrika stammen, ein paar Prozente Neandertaler-Erbe in sich tragen, und rekonstruierten aus der DNA von einem Fingerknöchelchen, der in einer sibirischen Höhle gefunden wurde, eine neue Menschenart: die Denisova Menschen. Auch Pinhasi sprang auf den Zug auf und untersucht seit etwa sieben Jahren historisches Erbgut (ancient DNA). Seine Vergangenheit als Knochenexperte hat ihm dabei wohl sehr geholfen.

Ältestes Genom aus Afrika

"Die meisten prähistorischen und auch jüngere historische Funde sind nämlich Skelettteile, nur selten bekommen wir etwa Mumien in die Hand, und hie und da kann man mittlerweile sogar DNA etwa aus dem Boden von Höhlen, wo sich Urmenschen aufgehalten haben, gewinnen", sagte er. Pinhasi hat entdeckt, dass ein bestimmter Knochen besonders viel Erbgut enthält, und man daraus auch alte DNA von menschlichen Überresten aus wärmeren Gebieten mit gutem Erfolg auslesen kann. So hat er etwa mit Kollegen das älteste vorgeschichtliche menschliche Genom aus Afrika veröffentlicht. Es stammt von einem Mann, der vor 4.500 Jahren im heutigen Äthiopien gelebt hat.

Dieser besonders Erbgut-hältige Knochen befindet sich im Innenohr und heißt "Felsenbein" (Os petrosum). Es handelt es sich dabei um einen von einem harten Kern umhüllten Bereich, der sich vom Embryo bis zum erwachsenen Menschen kaum ändert und nicht regeneriert. Deshalb müssen dort Unmengen von Zellen sein, die jede freilich das gesamte Erbgut tragen. Es sind daher große Mengen davon auf kleinstem Platz vorhanden und außerdem gut geschützt.

Laktose-Verdauung brauchte Zeit

Damit hat Pinhasi mit Kollegen etwa gezeigt, dass die Menschen nach der Umstellung auf die Viehwirtschaft noch 4.000 Jahre gebraucht haben, bis sie Milch pur vertragen haben. Dafür ist nämlich eine Gen-Mutation nötig, die dafür sorgt, dass nicht nur Säuglinge, sondern auch Erwachsene ein Verdauungsenzym im Darm produzieren, das Milchzucker (Laktose) abbaut. Zuvor ernährten sie sich wohl von Milchprodukten, in denen kaum Laktose vorhanden ist, wie Käse und Joghurt, meint er.

In Zukunft werde man mehr solcher Studien zu medizinisch relevanten Genen sehen, meint er. Damit könne man etwa die Geschichte von Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen erkunden. Es sei zum Beispiel spannend, ob diese erst mit der modernen Zivilisation gekommen sind oder schon alte Wurzeln haben.

Veränderter Lebensstil

Neuerdings könne man neben dem Auslesen des Erbguts sogar bei alter DNA ermitteln, wie häufig es bei Individuen abgelesen wurde (epigenetische Veränderungen). Es gäbe Hinweise, dass dies bei der Evolution des Sprech-Apparats (Vokaltraktes) eine Rolle gespielt hat. Solche Ablese-Frequenz-Veränderungen können viel schneller geschehen als Textänderungen. Wenn sie in der Evolution einen Einfluss haben, veränderten sie vielleicht auch in jüngster Zeit die Menschen, meint er. "Wir haben einen ganz anderen Lebensstil als unsere Vorfahren vor etwa 500 Jahren: die Umwelt, Ernährung, alles ist anders, und niemand kann heute sagen, was das für Auswirkungen auf uns hatte", so der Anthropologe.

Ron Pinhasi stammt aus Irland, studierte an der Simon Fraser University in Vancouver, der Katholike University Leuven in Belgien und in England an der Cambridge University. Er baute in Irland das erste Labor für "ancient DNA" auf und hat seit Juli 2017 eine Professur an der Universität Wien. (APA, red, 24.1.2018)