Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hatte die Gespräche mit dem Kosovo kurz nach dem Mord an dem Politiker Oliver Ivanović ausgesetzt.

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Belgrad/Prishtina/Sarajevo – Sie empfingen ihn mit Fähnchen, als er vergangenes Wochenende in den Kosovo reiste, um die Bevölkerung nach dem Mord an dem Politiker Oliver Ivanović zu beruhigen. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić betonte: "Wir werden alles tun, um jahrzehnte-, jahrhundertealten Streitigkeiten zu lösen und einen dauerhaften Frieden und Sicherheit für albanische und serbische Familien zu sichern." Ivanović war Dienstag vergangener Woche aus einem Auto heraus mit fünf Schüssen exekutiert worden. Später fand man in der Nähe ein ausgebranntes Auto, das früher einem Österreicher gehört hatte, der allerdings mittlerweile verstorben ist.

Der Fall Ivanović soll nun mithilfe serbischer und kosovarischer Behörden geklärt werden. Zu Beginn hatten die Kosovaren eine Zusammenarbeit verweigert. In der EU hat man vor allem die Befürchtung, dass der Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo, der ohnehin bereits seit Jahren kaum vorangeht, nun ganz zum Erliegen kommen könnte.

Rechtlich bindendes Abkommen

Vučić hatte die Gespräche kurz nach dem Mord ausgesetzt. Nur wenn es Schritte zur Aufklärung des Mordes von kosovarischer Seite gebe, wolle man den Dialog wiederaufnehmen. Der mächtige Staatschef nützte die Umstände, um das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Am Montag sagte er zu serbischen Medien, er werde in rund zwei Monaten seine Haltung in der Kosovo-Frage darlegen. Ohne ein rechtlich bindendes Abkommen mit dem Kosovo werde Serbien nicht der EU beitreten können. Diese setze auch eine klare Lösung der Grenzfragen voraus.

Vučić weiß, dass Serbien ohne eine "Normalisierung" der Beziehungen zum Kosovo nicht Teil der Union werden kann. Neun Jahre nach dem Krieg hatte sich der Kosovo 2008 für unabhängig erklärt. Doch in der Präambel der serbischen Verfassung wird der Kosovo als integraler Teil des serbischen Staates bezeichnet. Es bräuchte nicht nur eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, sondern auch ein Referendum, um dies zu ändern. Vučić will aber offenbar ein solches durchführen. Unklar ist, ob er ausreichend Bürger mobilisieren kann.

Was heißt Normalisierung?

Zurzeit ist auch offen, welches Abkommen er überhaupt mit dem Kosovo abschließen will. Als Vorbild war immer wieder der Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der BRD aus dem Jahr 1972 im Gespräch, durch den die BRD die DDR indirekt anerkannte. In Serbien ist ein sogenannter "interner Dialog" zum Kosovo im Gange, in den auch die Zivilgesellschaft involviert wird. Widerstand kommt von der orthodoxen Kirche.

Der Südosteuropa-Experte Florian Bieber von der Universität Graz sagt, dass im Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo bisher immer problematisch gewesen sei, dass nichts Schriftliches vereinbart wurde und man deshalb auch die Umsetzung der Vereinbarungen nicht messen konnte. Zudem wurde niemals geklärt, was eigentlich mit "Normalisierung" gemeint sei. Wenn Vučić nun das Verhältnis mit dem Kosovo endgültig klären möchte, dürfe der Vorschlag keine Ambivalenzen zurücklassen. Das heißt, es müsse auch für die EU klar sein, dass Serbien den Kosovo auf seinem eigenen Weg Richtung EU nicht blockieren könne, so Bieber.

"Grundsätzliche Asymmetrie"

Toby Vogel vom Democratization Policy Council mit Sitz in Washington und Berlin moniert, dass in der Folge auch die fünf EU-Staaten, die den Kosovo noch nicht anerkennen, diesen Schritt machen könnten. Zurzeit gebe es beim Dialog eine "grundsätzliche Asymmetrie", weil der Kosovo viel weiter vom Beitritt entfernt sei als Serbien. "Es liegt also im Interesse der Politiker, im Kosovo auf Zeit zu spielen, für den Kosovo ist der Status quo ja ganz angenehm", so Vogel. Auch der Einfluss der EU im Kosovo sei sehr begrenzt.

Serbien hat im Gegensatz dazu viel mehr Grund, etwas weiterzubringen. Für Dynamik sorgen neu formulierte Beitrittsaussichten. Vučić genießt viel Unterstützung seitens der EU-Kommission und Deutschlands. Im November hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gemeint, Serbien könne bis 2025 der EU beitreten. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn formuliert vorsichtiger: 2025 sei ein mögliches Datum für einen Beitritt für Kandidatenstaaten, dieses sei aber ambitiös. Namen nannte Hahn nicht.

Neue Erweiterungsstrategie

Vogel sagt, dass Serbien etwa zwölf Jahre bis zum Beitritt brauchen könne. Andere Wissenschafter wie Tina Freyburg und Tobias Böhmelt gehen davon aus, dass nur Mazedonien (das wegen des griechischen Votums noch gar nicht verhandeln darf) bis 2023 die Beitrittskriterien erfüllen könne. Serbien sehen sie erst ab Mitte 2030 beitrittsreif, für Bosnien-Herzegowina und Albanien sei es nicht wahrscheinlich, dass sie vor 2050 die Kriterien erfüllen.

Am 8. Februar wird die EU-Kommission jedenfalls die neue Erweiterungsstrategie vorstellen. Vogel begrüßt, dass man in Brüssel erkannt habe, dass bisher viel zu wenig im Bereich der Demokratisierung und der Schaffung von Rechtsstaatlichkeit erreicht worden sei. Konkrete Vorschläge, wie man das ändern soll, gebe es allerdings noch nicht. (Adelheid Wölfl, 24.1.2018)