Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache soll im Juni 2017 bei der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt gewesen sein – sein Sprecher hält fest, er sei bei einer zeitgleichen Veranstaltung des Pennäler-Rings gewesen.

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Setzt auf "Jetzt erst recht!": Niederösterreichs FPÖ-Frontmann Udo Landbauer, jetzt ruhender Germane.

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Wien – Die Affäre um das Germania-Liedheft rund um den blauen Spitzenkandidaten von Niederösterreich, Udo Landbauer, ist um eine Facette reicher: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache soll im Juni 2017 bei der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt zu Gast gewesen sein. Straches Sprecher Martin Glier dementiert das: Der FPÖ-Chef sei zwar zum fraglichen Zeitpunkt in Wiener Neustadt gewesen, allerdings nicht bei der Germania, sondern bei einer Veranstaltung des Österreichischen Pennäler-Rings (ÖPR). An dieser hat auch die Germania teilgenommen. Ein Foto von Strache bei dieser Veranstaltung liegt dem STANDARD vor. Laut einem Informanten, auch der "Spiegel" berichtete darüber, sei Strache dort ein Ehrenband verliehen worden – allerdings nicht von der Germania, behauptet Glier, sondern vom Pennäler-Ring. Der Vizekanzler selbst ist Mitglied der Burschenschaft Vandalia Wien.

Ariel Muzicant, Vizepräsident des Jewish Congress, zeigt sich in der "ZiB 2" am Donnerstag empört über die Liedtexte der Germania und darüber, dass in der FPÖ immer wieder mit dem Nationalsozialismus kokettierende Burschenschafter in politische Positionen gehievt werden.
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Konkret fanden die Germania-Feiern von 2. bis 4. Juni, zu "Brachmond", statt, laut deren Programm zusammen mit dem ÖPR-Burschentag. Das Pikante daran: Am Mittwoch hatte der Vizekanzler versichert: "Burschenschaften haben nichts mit der FPÖ zu tun." Laut dem Informanten entstand das Foto vom FPÖ-Chef noch vor der offiziellen Veranstaltung. Strache habe sich dort nur kurz blicken lassen, Hände geschüttelt und den Organisatoren seine Verbundenheit ausgesprochen. Offenbar habe Strache der medialen Aufmerksamkeit entgehen wollen. In einem nach der Veranstaltung vom ÖPR auf Facebook geposteten Video ist unter anderem Landbauer auf der Bühne zu sehen.

ÖVP-Unmut über blaues Krisenmanagement

Am Donnerstag hat die Causa auch den Koalitionspartner ÖVP erfasst: Mehrere Spitzenpolitiker reagierten auf den freiheitlichen Umgang mit dem antisemitischen und die NS-Zeit verharmlosenden Gesangsgut der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt, deren Vizevorsitzender Landbauer bis vor kurzem war – wohl nicht zuletzt deswegen, weil Strache, Kickl und Co die Angelegenheit möglichst schnell vom Tisch wischen wollten.

Ausnahmsweise nicht auf Twitter, sondern per Aussendung forderte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die "volle Härte des Gesetzes" ein. Auf STANDARD-Anfrage ließ Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der vorige Innenminister, zur aktuellen Causa ausrichten: "Das sind schwerwiegende Vorwürfe, die restlos aufgeklärt werden müssen." Dazu forderte er die Bürger auf: "Ich kann nur jeden ermutigen, die Courage zu haben, solche Dinge rigoros zur Anzeige zu bringen. Wir haben ein eindeutiges Verbotsgesetz – und derartiges Gedankengut hat bei uns keinen Platz!"

"Ich kann nur jeden ermutigen, die Courage zu haben, solche Dinge rigoros zur Anzeige zu bringen. Wir haben ein eindeutiges Verbotsgesetz – und derartiges Gedankengut hat bei uns keinen Platz!": Wolfgang Sobotka, Ex-Innenminister, nun Nationalratspräsident.
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Kickls Kurzschluss

Die Aufforderung birgt umso mehr Brisanz, als Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) am Rande eines Treffens mit EU-Amtskollegen in Sofia seinen Parteifreund Landbauer zunächst in Schutz genommen hat: "Ich halte es ehrlich gesagt für ziemlich ausgeschlossen, dass es Ermittlungen gegen ihn gibt", sagte Kickl dort – um später klarzustellen, er fühle sich missinterpretiert und habe sich damit nur auf seinen aktuellen Wissensstand bezogen.

Die SPÖ will in der Angelegenheit nun prompt den Nationalen Sicherheitsrat zusammentrommeln – weil sie den Verdacht hegt, dass von der Regierung "diese Dinge nicht mit aller Härte verfolgt werden".

Beschlagnahmte Bücher

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wurden von der Polizei bei einer Hausdurchsuchung in der Bude der Germania zu Wiener Neustadt jedenfalls bereits 19 Liederbücher und zwei Ordner mit Unterlagen sichergestellt – die Burschenschaft selbst gibt an, einen Verantwortlichen für das 1997 gedruckte Liedheft identifiziert und suspendiert zu haben. Dieser soll am Freitag von der Exekutive einvernommen werden. Die Inhalte werden mittlerweile vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung geprüft – darunter findet sich etwa die Liedzeile "Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: 'Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million'".

In Straßburg erklärte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Rande des Europarats: "Das ist nicht Österreich." Doch Niederösterreichs FPÖ-Frontmann Landbauer, der derartige Lieder nie gesungen haben will, setzt im Wahlkampffinish auf die Parole "Jetzt erst recht!".

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), selbst in einer Koalition mit der FPÖ, findet jedenfalls: "Unser Regierungspartner hätte auf diese Causa anders reagiert – und längst die richtigen Schlüsse gezogen."

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), selbst in einer Koalition mit der FPÖ, ist überzeugt: "Unser Regierungspartner hätte auf diese Causa anders reagiert – und längst die richtigen Schlüsse gezogen."
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Noch aufgebrachter reagiert Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im Europäischen Parlament: "So ein Gedankengut ist widerwärtig und unerträglich", sagt er – und in Richtung Landbauer: "So etwas hat weder in der Politik noch im demokratischen Österreich seinen Platz. Null Toleranz!"

Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im Europäischen Parlament: "So ein Gedankengut ist widerwärtig und unerträglich. So etwas hat weder in der Politik noch im demokratischen Österreich seinen Platz. Null Toleranz!"
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Einst hochrangige ÖVP-Politiker wie Heinrich Neisser, ehemaliger Zweiter Nationalratspräsident, sehen nicht nur in Burschenschaften wie der Germania ein Problem: "Da entwickeln sich Zentren des Radikalismus", meint er, die Optik sei "verheerend" – und Kanzler Kurz müsse sich "laufend distanzieren, aufklären, beschwichtigen". Dass die ÖVP nicht stärker gegen solche Vorkommnisse auftritt, ist für Neisser ein Rätsel: "Offensichtlich findet man sich damit ab, auch wenn man das nicht billigt."

Heinrich Neisser, ehemaliger Zweiter Nationalratspräsident, sieht nicht nur in Burschenschaften wie der Germania ein Problem: "Da entwickeln sich Zentren des Radikalismus." Kanzler Kurz müsse sich "laufend distanzieren, aufklären, beschwichtigen".
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Ku-Klux-Klan lässt grüßen

Auch Ex-Vizekanzler Erhard Busek ist verärgert: "Das ist nicht nur ein internes Problem der FPÖ, das ist auch ein Problem der ÖVP. Das Problem ist, dass die FPÖ sich wesentlich auf solche Leute stützt." Mit dem Festhalten an Landbauer rücke man "sichtbar nach rechts", so seien alle Kurskorrekturen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hinfällig.

Auch Ex-Vizekanzler Erhard Busek ist verärgert: "Das ist nicht nur ein internes Problem der FPÖ, das ist auch ein Problem der ÖVP."
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In einem Brief wandten sich Unirektoren und -professoren an Kanzler Kurz: "Das ist ein Aufruf zum Massenmord", heißt es da zum Germania-Liedgut, und: "Beenden Sie die Zusammenarbeit mit allen, die Mitglieder rechtsextremer Burschenschaften in ihren Büros beschäftigen."

Wie es auf anderen Buden zugeht, zeigt ein Foto vom Gschnasfest der Germania Wien im Februar 2008: Damals verkleidete man sich offenbar als Ku-Klux-Klan-Mitglieder. Ein Screenshot der damaligen Website wurde dem STANDARD zugespielt.
Foto: Screenshot

Wie es auf anderen Buden zugeht, zeigt auch ein Screenshot vom Gschnasfest der Germania Wien im Februar 2008: Damals verkleidete man sich offenbar als Ku-Klux-Klan-Mitglieder – im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes bestätigt man die Echtheit der Aufnahme. (Karin Riss, Michael Völker, Nina Weißensteiner, 25.1.2018)