Ein Anhänger von Margaret Thatcher und Privatisierung: Patrik Schumacher.

Foto: Matthew Joseph

Gegen Spitznamen ist man machtlos: "The Devil's Dildo" in der 666 Fifth Avenue in New York.

Visualisierung: Zaha Hadid

Nach dem Tod von Zaha Hadid im März 2015 hat Patrik Schumacher das Büro übernommen. Das Unternehmen expandiert, doch der neue Chef sorgt seit Anbeginn für medialen Wirbel, weil er den sozialen Wohnbau eliminieren und die Stadt privatisieren will. Ein Gespräch mit dem, wer weiß, vielleicht künftigen Londoner Bürgermeister.

STANDARD: Welches Erbe hat uns Zaha Hadid hinterlassen?

Schumacher: Zaha Hadid hat uns ein riesiges OEuvre an realisierten Bauten hinterlassen, aber ein noch größeres OEuvre an Baustellen und Projekten, die sich derzeit in der Pipeline befinden.

STANDARD: Das klingt sehr sachlich. Und das immaterielle Erbe?

Schumacher: Zaha Hadid hat die Architektur neu erfunden. Ihre Architektur war und ist ein Durchbruch im Denken. Ich würde ihr Vermächtnis am ehesten so zusammenfassen: Expressivität in der Arbeit, Vielgestaltigkeit der Formensprachen, eine neue Art von Energie und Kompromisslosigkeit im eigenen Denken und Handeln. Sie ist mit ihrer Leidenschaft bis an die Schmerzgrenze gegangen.

STANDARD: Gab es nach Zaha Hadids Tod jemals den Gedanken, das Büro zu schließen?

Schumacher: Nein. Es war offen ausgesprochen und sogar testamentarisch festgehalten, dass – wenn ihr jemals etwas zustoßen sollte – das Büro auf jeden Fall weitergeführt werden müsse. Wir haben heute mehr Büros und mit 400 Angestellten mehr Mitarbeiter denn je. Neben unserem Hauptbüro in London gibt es Niederlassungen in New York, Mexiko-Stadt, Dubai, Peking und Hongkong.

STANDARD: Sie planen gerade ein Hochhaus in New York, und zwar das 666 Fifth Avenue.

Schumacher: Mittlerweile heißt das Projekt 660 Fifth Avenue. Die Kushner Companies haben das Hochhaus umbenannt, um gewisse Assoziationen zu vermeiden.

STANDARD: Zu spät. Wissen Sie, welchen Spitznamen das Projekt hat?

Schumacher: Nein. Welchen?

STANDARD: The Devil's Dildo.

Schumacher: Oh, verdammt. Der muss neu sein ... Gegen Spitznamen in den Medien ist man machtlos.

STANDARD: Wie geht es Ihnen mit den Medien?

Schumacher: Das war die große Herausforderung nach Zahas Tod, denn das Hinaustreten, der Kontakt mit den Medien war immer ihre Aufgabe, während ich mich vor allem um Internes gekümmert habe. Den Umgang mit den Medien zu lernen und sich in der Öffentlichkeit zu behaupten – das ist schon eine ziemliche Challenge.

STANDARD: Vor zwei Jahren haben Sie beim World Architecture Festival in Berlin ein Acht-Punkte-Programm vorgestellt, mit dem Sie einen regelrechten Shitstorm ausgelöst haben. Sie meinten, sozialer Wohnbau müsse eliminiert werden, wohingegen der öffentliche Raum privatisiert werden müsse. Was hat Sie denn da geritten?

Schumacher: Wir befinden uns heute in einer Leistbarkeitskrise. Das Wohnen wird immer teurer, und das liegt nicht zuletzt daran, dass die Politik immer stärker eingreift und im Wohnbau immer restriktivere Planungs- und Bauvorgaben macht. Das macht das Bauen teuer und die Wohnungen mittlerweile unleistbar.

STANDARD: Mit der Privatisierung soll dieser Trend gestoppt werden?

Schumacher: Ja. Eine der guten Sachen der freien Marktwirtschaft ist, dass der Markt sich ganz von allein regelt, dass er wie ein organisches System ist, in dem auf ganz natürlichem Wege eine Balance entsteht.

STANDARD: Leistbarkeit für den Kunden fängt dort an, wo es für den Investor uninteressant zu werden beginnt.

Schumacher: Das wissen wir nicht. Wir haben uns diesem Experiment nie gestellt. Bis jetzt haben wir das natürliche Gleichgewicht aus Angebot und Nachfrage jedes Mal aufs Neue mit Vorschriften und Regulativen manipuliert.

STANDARD: Margaret Thatcher hat in den Achtzigerjahren eine Privatisierungswelle ausgelöst, von der sich Großbritannien bis heute nicht erholt hat. Das Leben in den Händen des freien Marktes wurde nicht billiger, sondern teurer.

Schumacher: Thatcher war für mich, als ich noch jung war, ein rotes Tuch. Im Rückblick betrachtet finde ich sie bewundernswert. Sie ist eine Heroin der Politik. Sie hat das UK gerettet. Und was den Wohnbau betrifft: Rund 50 Prozent aller Neubauwohnungen in London werden heute für den sozialen Wohnungsmarkt errichtet. Damit müssen die anderen, freifinanzierten 50 Prozent diese geförderten 50 Prozent wirtschaftlich mittragen. Das macht den Wohnungsmarkt in London verdammt teuer. Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel: Viele private Bauträger melden seit vielen Jahren schon Interesse an, leerstehende oder geringfügig genutzte Bürobauten in Wohnungsbau zu konvertieren. Auch hier sind es politische Regulative, die einen solchen Umbau verhindern und dem Markt tausende Wohnungen entziehen. Vor kurzem hat ein Projekt gestartet, das es geschafft hat, diese Regulative punktuell außer Kraft zu setzen. Wir machen selbst mit.

STANDARD: Und zwar?

Schumacher: Wir arbeiten an sogenannten Mehrhaushaltseinheiten. Das sind zehn bis 16 Quadratmeter große Miniwohnungen, die durch riesige Wohnbereiche und kollektive Stockwerksküchen miteinander verbunden werden.

STANDARD: Ein Studentenheim für erwachsene Berufstätige also?

Schumacher: Nein, es geht um ein Wohnhaus mit hochwertigen gemeinschaftlichen Mehrwertbereichen. Und es geht darum zu untersuchen, wie man ungenutzte Bürobauten wieder einer sinnvollen Nutzung zuführen kann. Wir sind derzeit in der Studienphase.

STANDARD: Das wäre im Rahmen des sozialen Wohnbaus nicht möglich?

Schumacher: Nein. Es gibt zu viele Regeln, die ein solches sozialinnovatives Experiment verunmöglichen. Die Bürokraten nehmen jungen Bürgerinnen und Bürgern zentrale Entscheidungsmöglichkeiten weg.

STANDARD: Wie und wo wohnen Sie denn selbst?

Schumacher: Ich wohne sehr zentral in Islington.

STANDARD: Auf wie vielen Quadratmetern?

Schumacher: Das kann ich nicht beziffern.

STANDARD: Sie sind doch ein Architekt mit einem sehr guten räumlichen Vorstellungsvermögen!

Schumacher: Ich denke, das sind so ungefähr 100 Quadratmeter.

STANDARD: Sollten Sie jemals zum Londoner Bürgermeister gewählt werden, haben Sie einmal gesagt, würden Sie gerne den öffentlichen Raum privatisieren. Warum?

Schumacher: Der öffentliche Raum ist heute stark normiert, er ist steril und langweilig. Mithilfe privater Investoren wäre es möglich, ein deutlich offeneres Spektrum an Freiraumqualitäten zur Verfügung zu stellen – mit repräsentativen, aber auch subkulturellen Angeboten.

STANDARD: Ein privater Freiraum ist den Interessen des Privateigentümers untergeordnet.

Schumacher: Ich glaube an Vielfalt und unternehmerische Dynamik. Die Gefahr der Exklusion ist nicht so groß, wie alle glauben.

STANDARD: Soziologen wie etwa Saskia Sassen und Richard Sennett sprechen sich sehr stark gegen Privatisierung aus. Privatisierung, sagen sie, sei ein Ausverkauf der Stadt.

Schumacher: Ein Thema, viele Standpunkte.

STANDARD: Wären Sie Eigentümer oder Miteigentümer des Hyde Park, dürfte ich als Nutzer den Park so benützen, wie ich will? Oder würde es dann Vorschriften und Restriktionen geben?

Schumacher: Der Park ist so groß, dass man ihn beispielsweise in verschiedene Zonen gliedern könnte.

STANDARD: Was gilt in Zone A und was in Zone B?

Schumacher: Das wird jetzt sehr hypothetisch, oder?

STANDARD: Wie stehen Sie heute zu Ihren damaligen Aussagen?

Schumacher: Ich werde seit damals immer wieder als Schuft und Faschist dargestellt, weil mich die Menschen und Medien falsch verstanden haben. Aber im Grunde genommen ist meine Einstellung nach wie vor die gleiche.

STANDARD: War die Provokation eigentlich bewusst inszeniert?

Schumacher: Nein. Ich habe diese Reaktionen weder antizipiert noch vorsätzlich geplant. Vielleicht war der Zeitpunkt, ein solches Thesenpapier kurz nach Zahas Tod zu präsentieren, nicht geschickt gewählt. Man darf Fehler machen, wenn man in solche großen Fußstapfen tritt.

STANDARD: Wird das Büro Zaha Hadid Architects eines Tages selbst als Immobilieninvestor auftreten?

Schumacher: Nein. Patrik Schumacher bleibt bei seinem Leisten.

STANDARD: Wann werden Sie als Londoner Bürgermeister kandidieren?

Schumacher: In die Politik hinüberzulaufen halte ich immer für möglich. (Wojciech Czaja, 28.1.2018)