Harry Gatterer: neue Vorschläge für einen möglichen Umgang mit Zukunftsfragen.

Foto: Robert Newald

Über die Zukunft nachzudenken ist kein simples Geschäft. Und meistens derzeit eher defensiv in endlosen Schleifen des angstvollen Beschäftigens mit sich selbst in Organisationen – also ausgehend von einem allgemeinen, oft vom schlimmsten Szenario: Meinen Job gibt es demnächst nicht mehr, die ganze Branche löst sich auf, was unsere Kunden morgen wollen werden, wissen wir sowieso nicht, was wir aus unseren Daten lesen wollen, auch nicht, die Systeme kollabieren, der Planet ist überbevölkert, die Ressourcen gehen aus, die entsolidarisierte Gesellschaft kippt.

Bei den allerorten angestrebten strategischen Neufindungen geraten dann die Briefings für Berater, die zu Hilfe gerufen werden, zum allseits gängigen Buzzword-Bingo: Es geht um Digitalisierung, Automatisierung, Agilisierung der Organisation, das Mindset der permanenten Veränderungsbereitschaft, Costumer-Experience usw. usf. Fazit: Wir brauchen "smarte Lösungen". Eh.

So erlebt es auch Zukunftsforscher Harry Gatterer bei Kunden, in Firmen, die ihn holen, um Ankerplätze für die Zukunft zu finden: "Trendwörter breiten sich ungehemmt aus wie ein Virus. Dieser Effekt ist kein Zufall, sondern Ausdruck der Suche nach Orientierung." Dann fragt der Tankstellenbetreiber auf der Suche nach der Zukunft nicht nach dem Potenzial in seiner Organisation, aus dem sich die nächsten Schritte für eine Weiterentwicklung ergeben könnten, sondern ruft bange: "Wird es in Zukunft noch Tankstellen geben?" – nicht nur eine völlige Überforderung, sondern auch ziemlich nutzlos, um jetzt sehen zu können, was im Unternehmen verändert werden kann (und soll), um zukunftsfähig zu werden.

Zukunftsfragen brauchen Reflexion

Erschwert wird die Sache noch dadurch, dass hinter jeder Ecke und jedem Busch Experten hervorspringen, die ganz genau erklären, wie die Zukunft wird. Gatterer: "Das bedeutet, dass Zukunftsfragen jetzt vor allem Reflexion, nicht Inspiration benötigen." Denn das Eigentliche finde ja dort statt, "wo wir nicht hinschauen" – in unsichtbaren Denkstrukturen, unsichtbaren Spielregeln und in Daten. Systemisch formuliert daher der Imperativ: Jetzt sei die Beobachtung zweiter Ordnung gefragt, um Überbelichtungen, dunkle Flecken, emotionale Verzerrungen zu erkennen, die das Unternehmen beherrschen. Im Klartext bedeutet das für das Management eigentlich, sich selbst beim Nachdenken zu beobachten. Klingt wie die Quadratur eines Kreises. Auch weil bekanntlich als menschlich zutiefst verständliches Ausweichmanöver bei einer schwierigen Frage gern eine leichtere Ersatzfrage beantwortet wird oder gern in Verallgemeinerungen – Stichwort Buzzwords – geschlüpft wird oder sich die ganze Sache immer wieder um "Schuldfragen" dreht.

Kein Wunder, dass Kurztrips ins Kloster oder in den Ashram in Managerkreisen aktuell recht gefragt sind, um wieder "klar" zu sehen. Gatterer hat jetzt eine Alternative in Buchform auf den Markt gebracht, die er als Methode "Future Room" nennt und als Ergebnis von vielen Jahren praktischer Arbeit mit Unternehmen an Zukunftsfragen ein Arbeitsbuch für die jeweils nächsten Schritte ist. Kein Versprechen für die Zukunft 2030, kein Rezept für alle, sondern eine Arbeitshilfe für Führungsteams.

Verborgene Potenziale erkennen

Als Untertitel eignete sich: von den großen Zukunftsfragen (meist unbeantwortbar) hin zum Sehen der Potenziale im Unternehmen (oft verborgen), befreit von den vielen Filtern, die sich breitgemacht haben – konfuse Gedanken, weil zu viel von allem, und daraus resultierend die Unfähigkeit, überhaupt noch sinnvolle Verbindungen zu erkennen oder herzustellen. Oder permanente Verteidigungshaltung zum Schutz des Gewohnten bzw. permanente Angriffsstrategie, damit sich endlich etwas bewegt. Das verlangt eine wesentliche Voraussetzung: die Antworten auf Zukunftsfragen des Unternehmens tatsächlich stellen zu wollen und kritikfähig genug zu sein, um Antworten zu hören.

Warum er in Buchform zugänglich macht, was er doch als Zukunftsberater verkaufen könnte? "Wenn es stimmt, dann kommt es zurück und ist wirksam", so Gatterer. Und fast taoistisch, frei nach "Deine Gedanken gestalten deine Welt": "Es ist notwendig, dass wir uns der Einflüsse auf unser Zukunftsdenken bewusst werden." (Karin Bauer, 1.2.2018)