Tracey hat die Enthaltsamkeit satt und stolpert uneitel in Richtung Sex.

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"Jungfrau (40), männlich, sucht …" nennt sich ein Komödienklassiker von Regisseur Judd Apatow, der die erwachsene Version einer beliebten Hollywood-Geschichte erzählt: Da ist der liebenswerte, aber furchtbar tollpatschige Junge, der alles gibt, um endlich seine Jungfräulichkeit zu verlieren – und auf dem Weg dorthin mehr feuchte Träume als erfolgreiche Eroberungen zu verbuchen hat. Fast immer sind es jedoch Männer, denen man dabei zusehen darf, wie sie sich vor der Kamera entblößen und blamieren (Lichtblicke wie die norwegische Komödie "Turn Me On, Dammit" mal ausgenommen).

Working-Class-Sitcom

Mit diesem ungeschriebenen Gesetz bricht Michaela Coel in der Ausnahme-Comedy "Chewing Gum". Die britische Schauspielerin hat nicht nur das Drehbuch – entwickelt aus ihrem Theaterstück "Chewing Gum Dreams" – geschrieben, sie ist auch in der Hauptrolle zu sehen: Tracey Gordon (24) lebt im sozialen Wohnbau im Londoner Arbeiterbezirk Tower Hamlets. Die enge Wohnung teilt die Supermarktverkäuferin mit Mutter und Schwester – beide streng religiöse Christinnen. Auch ihr Boyfriend Ronald pflegt eine enge Beziehung zu Gott und hält strikt am "Kein Sex vor der Ehe"-Prinzip fest – von Traceys Verführungskünsten zeigt er sich gänzlich unbeeindruckt.

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Tracey hingegen hat die Enthaltsamkeitsübungen satt und holt sich Rat bei Freundin Candice, selbsternannte Universalexpertin für Liebe, Sex und Zärtlichkeit. Nachdem selbst das Beyoncé-Makeover (zu der Pop-Queen betet Tracey ebenso regelmäßig wie zu Jesus) bei Ronald nicht zum gewünschten Ziel führt, sucht sie nach neuen potenziellen Partnern. Zum Beispiel Connor, vermeintlich verhinderter Poet, der ebenfalls noch bei seiner Mutter lebt.

Britischer Humor

Allerlei schräge Figuren treiben sich in Traceys Wohnsiedlung herum. Macherin Michaela Coel kreiert in "Chewing Gum" eine zugleich kaputte wie herzerwärmend optimistische Gemeinschaft, greift geschickt Stereotype auf und führt sie ins Absurde. Dabei geht es ziemlich schmutzig und zuweilen derb zu, die Handlung erschöpft sich jedoch nie in billigen Pointen. Tracey hüpft in sexy Unterwäsche durchs Bild und ist dabei wenig sexy, bekommt von feuchten Träumen heftiges Nasenbluten und sprengt im Drogenrausch die Party eines Unternehmens, bei dem sie sich gerade als Verkäuferin beworben hat. Zwei Staffeln der grandiosen Sitcom gibt es bisher auf Netflix zu sehen, an der dritten arbeitet Michaela Coel bereits. "Ich mag es, wenn es für die ZuseherInnen richtig unangenehm wird", sagte sie dem "Guardian". (Brigitte Theißl, 30.1.2018)