Aristoteles sprach sich für Untersuchungen am menschlichen Körper zur Erforschung von Krankheiten aus.

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Die Geschichte der Menschheit ist auch eine der Menschenversuche, wenngleich gerade in der prähistorischen Zeit Eingriffe vorwiegend rituell und nicht medizinisch motiviert waren. Aristoteles, der Untersuchungen am lebenden Menschen zum besseren Verständnis von Krankheiten forcierte, dürfte dazu beigetragen haben, dass Menschen zusehends als Versuchskaninchen missbraucht wurden.

Als Urväter der Versuche – auch am lebenden Körper – gelten die beiden griechischen Ärzte Herophilus und Erasistratos, die um 280 vor Christus in Alexandria recht umtriebig waren. Sie forschten angeblich an verurteilten Verbrechern und unterschieden dank ihrer neuen Einblicke Arterien und Venen. Dass sie 600 Personen bei lebendigem Leib seziert haben, wie Jahrhunderte später von Historikern niedergeschrieben wurde, ist allerdings nicht eindeutig belegt.

Vorrang für Heilmittel

Dass derartige Praktiken vorkamen, davon berichtete u. a. der römische Medizinschriftsteller Aulus Cornelius Celsus einige Jahrzehnte vor Christi Geburt. Es sei "nicht grausam, wenn man durch Aufopferung von (noch dazu wenigen) Verbrechern für die rechtschaffenen Menschen aller Jahrhunderte Heilmittel zu erforschen strebe", schrieb er in De Medicina.

In der Neuzeit kamen Experimente und mit ihr die moderne Autonomie wieder auf, nachdem die Leichenöffnung seit dem Konzil von Tours 1163 verboten war. Die Wirkung von Giften und Arzneien wurde u. a. von Maria Theresias Leibarzt erst an Tieren und dann an sich selbst erforscht. Zum Skandal kam es, als der deutsche Dermatologe Albert Neisser zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Serum aus dem Blut von Syphilispatienten entwickelte und Prostituierten spritzte. Vier von ihnen erkrankten an der Geschlechtskrankheit.

Nazi-Greuel

Im Nationalsozialismus gab es dann keinerlei Barrieren mehr, wenn es galt, Juden, Roma, Sinti, Menschen mit Behinderung oder psychische Kranke mit Experimenten zu foltern. Der Tod der Opfer wurde dabei zu Absicht. Im Nürnberger Ärzteprozess wurden die menschenverachtenden Grausamkeiten aufgearbeitet und später Leitlinien entwickelt.

Internationale Richtlinien konnten ethische und rechtliche Verstöße nicht unterbinden. In der DDR beispielsweise testeten westliche Pharmakonzerne verschiedenste Medikamente. Zudem kam es zu systematischem Zwangsdoping im Leistungssport – auch bei Minderjährigen. In Westdeutschland kam es – auch unter Beteiligung früherer NS-Ärzte – immer wieder zu Menschenversuchen.

Oft Wehrlose als Opfer

Zu den bekannten Fällen zählen Tests mit Neuroleptika an Wehrlosen in einem Heim, die mit ausdrücklicher Genehmigung der Behörden von Nordrhein-Westfalen erfolgt sein sollen. Das Bundesgesundheitsamt hat 1957 eine Versuchsreihe zum Test von nicht zugelassen Pockenimpfstoffen mittels Rückenmarkspunktion in einem Säuglingsheim beauftragt.

Frankreich wiederum setzte Wehrpflichtige vorsätzlich atomarer Strahlung aus, bestätigt wurden Versuche in Algerien und in Polynesien. Auch die CIA führte systematische Menschenversuche durch, u. a. mit LSD, bei denen es zu schwersten körperlichen und psychischen Schäden, teilweise mit Todesfolge, kam. Auch der US Army wurde vorgeworfen, Soldaten gezielt mit Kernwaffentests verstrahlt zu haben.

Novartis im Fokus

Dass Menschenversuche auch in diesem Jahrhundert ein Thema sind, zeigen die Recherchen der NGO Public Eye zu einem Vogelgrippeimpfstoff von Novartis. Der Schweizer Konzern beauftragte Consulting-Firmen mit Tests, die großteils in Polen durchgeführt wurden. Engagiert wurden im Jahr 2007 Ärzte und Kliniken, die vor allem Obdachlose gegen ein kleines Entgelt köderten und ihnen angebliche Grippeimpfungen verabreichten.

In Polen, Tschechien und Litauen sind laut der NGO 4560 Personen Opfer der Vorgangsweise geworden, die zu Magen-, Leber- und Nierenbeschwerden führte. Überdies wurde in einem Obdachlosenheim eine außergewöhnlich hohe Zahl an Todesfällen registriert, wie Public Eye aufdeckte.

Im Zuge von Ermittlungen stellte sich heraus, dass Unterschriften der Opfer betreffend ihre Einwilligung für die Tests vielfach gefälscht wurden. (red, 30.1.2018)