Sind Versuche an Menschen und Tieren in der Automobilindustrie gerechtfertigt? Die deutsche Regierung sagt: Nein.

Foto: APA / Stefan Rampfel

VW-Konzernchef Matthias Müller bezeichnet die praktizierten Methoden als "falsch, unethisch und abstoßend". Mit Interessenvertretung oder wissenschaftlicher Aufklärung habe "das nichts, gar nichts zu tun".

Foto: APA/dpa/Philipp von Ditfurth

Arbeitsmediziner machten Versuche mit niedrigen Konzentrationen an Stickstoffdioxid (NO2) an Menschen. Das Brisante: Die Autoindustrie hat die Studie finanziert.

Seit Beginn der Abgasaffäre bei den deutschen Automobilherstellern geht es im Grunde um eine Frage: Wer wusste wann Bescheid? Der führende VW-Manager Oliver Schmidt wurde in den USA zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, weil das Gericht zur Überzeugung gelangte, dass Schmidt eineinhalb Jahre vor Auffliegen der ganzen Affäre wusste, dass die VW-Fahrzeuge zu viele Abgase ausschießen.

Er half aber mit, diese Tatsache geheimzuhalten. Dem einst allmächtigen VW-Manager Martin Winterkorn wird ebenfalls vorgeworfen, viel früher von den Manipulationen Kenntnis gehabt zu haben.

Moralische Entrüstung

Der Zeitpunkt der Kenntnis spielt auch bei der neuesten Wendung des Abgasskandals eine zentrale Rolle: Wie am Sonntag bekannt wurde, hat die deutsche Automobilindustrie über einen Forschungsverein Abgasversuche an Affen und Menschen durchführen lassen. VW, Daimler und BMW haben demnach über einen eigens gegründeten Verein "Kurzzeit-Inhalationsstudien" mit Stickstoffdioxid durchgeführt, so die Stuttgarter Zeitung. Ziel sei es gewesen, zu demonstrieren, dass die Substanzen weniger bedenklich seien als gedacht.

Die Meldung löste eine Welle der Empörung aus: Die Versuche seien "ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der auch im Aufsichtsrat von VW sitzt, nannte die Tests "absurd" und "widerlich". VW-Konzernchef Matthias Müller bezeichnete die "von der EUGT in den USA praktizierten Methoden" als "falsch, unethisch und abstoßend". Mit Interessensvertretung oder wissenschaftlicher Aufklärung habe "das nichts, gar nichts zu tun".

Und Volkswagen bemühte sich, den Schaden einzugrenzen. Ja, einzelne Mitarbeiter des Konzerns hätten von den Versuchen gewusst, das Thema sei aber niemals in einer Vorstandssitzung erörtert worden. Der Tenor war bei den anderen Autobauern ähnlich.

Politik war informiert

Doch auch die deutsche Politik muss sich diesmal die Frage gefallen lassen, ab wann sie eingeweiht war: Im parlamentarischen Ausschuss des Deutschen Bundestags zum Dieselskandal wurde bereits im September 2016 über die Tier- und Menschenversuche diskutiert. Gutachter informierten dort die Politiker von CDU, SPD und Co über entsprechende Experimente. Eine breitere Debatte darüber, ob dies ethisch und rechtlich legitim sei, gab es nicht.

Studie mit Menschen

Im konkreten Fall hat die von der Automobilindustrie finanzierte Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) die 2013 durchgeführte Studie bei Arbeitsmedizinern der Uniklinik an der Technischen Hochschule Aachen in Auftrag gegeben. Dabei wurden 25 gesunde Probanden viermal im Wochenabstand für jeweils drei Stunden einer niedrigen Konzentration von Stickstoffdioxid (NO2), einem Bestandteil von Dieselabgasen, ausgesetzt.

Bei Untersuchungen im Anschluss seien keine negativen biologischen Auswirkungen festgestellt worden. Was nach gefährlichen Versuchen klingt, wurde von der Ethikkommission der Universität bewilligt. "Die Belastungen, denen die Probanden ausgesetzt wurden, lagen deutlich unter den Konzentrationen, wie sie an vielen Arbeitsplätzen in Deutschland auftreten können. Dementsprechend kam kein Mensch zu Schaden", schreiben die Studienautoren in einer Aussendung am Montag.

Anlass für die Studie sei die Absenkung der sogenannten Maximalen Arbeitsplatzkonzentration (MAK) für NO2 gewesen, betonen die Forscher. Mit dem "Dieselskandal" stehe sie gar nicht in Verbindung.

Wie sind nun die Rahmenbedingungen – wann dürfen Unternehmen oder Forschungsinstitute überhaupt an menschlichen Probanden Tests durchführen?

Strenge medizinischen Auflagen

In Österreich gibt es laut Juristen kein allgemeines Humanforschungsgesetz, das festlegen würde, wann Versuche mit Menschen erlaubt sind. Je nach Forschungsbereich, also in der Medizin, der Kosmetik oder chemikalischen Produktion, gelten andere Regeln.

Im Gesundheitsbereich gelten neben gesetzlichen auch ethische Auflagen. Wesentlich sei, dass Studienteilnehmer genau über einen Versuch aufgeklärt würden und zustimmungsfähig seien, erklärt Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission. Hier gehe es nicht nur um die psychische Zurechnungsfähigkeit oder Volljährigkeit, sondern auch darum, ob ein Abhängigkeitsverhältnis vorliege.

"Ein Arbeitgeber kann nicht von seinen Mitarbeitern verlangen, an gesundheitlichen Studien zu eigenen Produkten teilzunehmen", nennt Druml als Beispiel. Gesetzlich sei zudem festgelegt, dass Probanden keinen Gefahren ausgesetzt werden dürfen.

Problematisch sei, dass im Falle der NO2-Studie die Autoindustrie Auftraggeber war: "Normalerweise müsste eine Universität unabhängig genug sein, um keinem Einfluss vonseiten der Industrie bei ihren Forschungsprojekten zu unterliegen", sagt die Bioethikerin.

An der Medizinischen Universität Wien seien vergleichbare Auftragsstudien aus der Industrie "unüblich", sagt Bruno Podesser, Leiter der Abteilung für Biomedizinische Forschung.

Viele Regelwerke

Abgastests an Menschen durchzuführen wäre per se in Österreich aber nicht verboten, jedenfalls gebe es dazu kein Gesetz.

Kein ausdrückliches Verbot gibt es auch in der chemischen Industrie: Die Zulassung von Waschmitteln zum Beispiel ist strikt geregelt. Um die Ungefährlichkeit eines Mittels nachzuweisen, ist die Methode erster Wahl laut Umweltministerium die Nutzung von Berechnungsmodellen auf Basis vorhandenen Wissens. Tierversuche sind prinzipiell erlaubt, wenn es keine andere Art der Wissensbeschaffung gibt. Über Versuche mit Menschen steht nichts in der Verordnung der EU zur Zulassung chemischer Mittel.

Genaue Regeln gibt es für die kosmetische Industrie. Will ein Unternehmen einen Lippenstift oder eine Creme testen lassen, muss sie zunächst von einem Toxikologen die Unbedenklichkeit nachweisen lassen. Sofern das gelingt, sind Versuche an mensch lichen Probanden erlaubt. Dabei kann etwa getestet werden, ob ein Mittel Rötungen oder Irritationen hervorruft. Die Versuchspersonen müssen laut Gesundheitsministerium immer über Risiken aufgeklärt werden und dem Versuch natürlich zustimmen.

Strikte Grenzen

Ergeben die vielen Regelwerke eine ethische Lücke? Nicht unbedingt, sagt Carsten Roth, Verwaltungsrechtler an der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Die Grenze bilde immer das Strafrecht, wenn ein Eingriff als Körperverletzung zu werten ist.

Es reiche laut einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von 1992 nicht immer aus, wenn zugestimmt werde: Versuche mit Menschen seien demnach generell nur erlaubt, wenn diese unumgänglich sind. Werden Versuche aus rein wirtschaftlichem Interesse gemacht, dürften sie nicht durchgeführt werden. (Leopold Stefan, András Szigetvari, 29.1.2018)