Am 20. Jänner, ein Jahr nach den größten Protesten in Rumänien, haben 50.000 Personen in Bukarest und in weiteren Städten für den konsequenten Kampf gegen Korruption protestiert. Auch die EU-Kommission hat die aktuelle Regierung in Rumänien am 24. Jänner scharf kritisiert. Sie sieht die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet, sollte ein Gesetzespaket verabschiedet werden, welches eine systematische Hierarchisierung, sowie eine politisch gelenkte Justiz zum Ziel hat.

Der Blick Europas liegt eher auf Ungarn und Polen, wenn es um Autoritarisierungstendenzen in Mitgliedsländern der EU geht. Nun gerät auch Rumänien in den Fokus. Allerdings zielen die Veränderungen in Rumänien nicht auf einen rechtskonservativ-populistischen Umbau von Staat und Gesellschaft ab. Vielmehr geht es darum, die erfolgreiche Korruptionsbekämpfung der vergangenen Jahre zu stoppen. Aus Sicht der regierenden sozialdemokratisch-liberalen Koalition sind in den letzten Jahren zu viele Politiker zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Es ist also abzusehen, dass die zahlreichen laufenden Korruptionsprozesse ebenso in Verurteilungen münden werden. Gegen den Parteivorsitzenden der sozialdemokratischen PSD Liviu Dragnea – der gerne selber Premier wäre, aber aufgrund einer (bedingten) Verurteilung wegen Wahlbetrug nicht darf – wird in drei Fällen ermittelt. Der EU hat er zusammen mit seinem Koalitionspartner Calin Popescu-Tariceanu eine Replik geschrieben; auch sie seien überrascht – darüber, wie es dazu komme, dass Brüssel so falsch informiert worden sei. 

Proteste gegen die korrupte Politik vor dem Parlamentspalast.
Foto: APA/AFP/ANDREI PUNGOVSCHI

"Weil wir es können!"

Im Zuge dieser Entwicklungen geht fast unter, dass in Rumänien in nur einem Jahr die Funktion des Premierministers zum dritten Mal neu besetzt wird. Dies ist primär kein Indiz für eine Autoritarisierung, vielmehr für Instabilität. Viorica Dancila ist seit 2009 Europaabgeordnete und Vorsitzende der Frauenorganisation der PSD. Ihre besondere Qualifikation für dieses Amt, so wird geunkt, liegt in ihrer unumstößlichen Loyalität zum Parteivorsitzenden Dragnea. Mit ihr werden vermutlich einige Minister mit laufenden Korruptionsverfahren die neue Regierung stellen. Auf die Frage, warum die PSD dieses mache, antwortete der Generalsekretär: "Warum? Weil wir es können!" 

Und tatsächlich, die sozialdemokratische Partei hat seitens der Wähler nichts zu befürchten. Wären heute Wahlen, sie würde laut aktuellen Umfragen mit kleineren Verlusten wieder als stärkste Partei ins Parlament einziehen. Lediglich die Gruppe der Nichtwähler, die bei den letzten zwei Wahlen circa 60 Prozent der Wahlberechtigten ausmachte, ist größer. Dies ist umso erstaunlicher, da vor einem Jahr große Massenproteste im ganzen Land über Wochen die Regierung zur Rücknahme eines höchst umstrittenen Gesetzes zwang, das zur faktischen Legitimierung von Amtsmissbrauch in Höhe von 42.000 Euro führte, sowie die Einstellung von laufenden (Korruptions-)Verfahren zur Folge gehabt hätte. Die Regierung beugte sich damals dem Druck der Straße – und der Europäischen Union.

Keine Gefahr von Opposition oder EU

Doch auch hier hat ein Lernprozess eingesetzt: 2012 kam die PSD unter Victor Ponta durch Massenproteste und ein Misstrauensvotum an die Regierung, 2015 machte sie einer technokratischen Regierung durch den Druck der Straße Platz, um ein Jahr später in regulären Wahlen als Siegerin hervorzugehen. Die Massenproteste 2017 führten zu Personalrochaden und dem Einstampfen der legislativen Vorhaben. Jetzt, so scheint es, sitzt man das Problem einfach aus. Die EU-Kommission hat einiges von ihrem früheren Bedrohungspotenzial eingebüßt. Zwar ist das "Kooperations- und Kontrollverfahren für Bulgarien und Rumänien", das mit der EU-Mitgliedschaft der beiden Länder etabliert wurde, noch in Kraft, aber der Umgang mit Ungarn und Polen zeigt auch, dass die EU ein fundamentales Problem mit der Sanktionierung von Mitgliedsländern hat. So wird zwar gegen Polen der "nukleare" Artikel 7 des EUV (Vertrag über die EU) bemüht, die Einstimmigkeitsklausel macht es aber höchst unwahrscheinlich, dass eine "schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte" festgestellt wird und es somit zum Aussetzen bestimmter Rechte Polens in der EU kommt.

Auch von der Opposition geht keine Gefahr aus: das so genannte bürgerlich-konservative Lager ist fragmentiert und weitgehend in einem desolaten Zustand. Dem parteilosen, aber PSD kritischen Präsidenten Klaus Iohannis blieb nicht viel anderes übrig, als den ersten, zweiten oder dritten Vorschlag der PSD zu akzeptieren.

Parteiinterne Machtprobe

Die PSD ist sich selbst der größte Feind. So ist die aktuelle Regierungskrise eine parteiinterne Machtprobe zwischen dem als angeschlagen geltenden Dragnea und dem jetzt zurückgetretenen Premierminister Tudor Tudose. Dragnea hat das Match klar gewonnen. Als Provinzfürst der recht armen Region Teleorman hat er nun die nationale PSD-Politik fest im Griff. In Rumänien werden aktuell machtpolitische Algorithmen diskutiert – wem schadet die Personalrochade am meisten, wer profitiert? Der PSD als Partei, Dragnea als Person, dem Präsidenten? Zudem erhitzt die Gemüter, ob Dancila dem Amt gewachsen ist, ohne Erfahrung in Administration und Management, dafür aber aus Teleorman. Dass sie zudem auch noch eine Frau ist, schwingt mit, wird aber nicht expliziert. Inkompetenz, so könnte man meinen, soll den Männern in der Politik vorbehalten bleiben.

Ministerpräsidentin Dancila wurde am Montag ins Amt gewählt.
Foto: APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU

Doch wofür steht die PSD, jenseits des Wunsches des Parteiführers, eine grundsätzliche Schwächung der Justiz herbeizuführen, selber Premier zu werden und laufenden Korruptionsverfahren gegen ihn zu beenden?

"Wir verteidigen dich in Europa"

Die PSD ist eine der wenigen sozialdemokratischen Parteien, die in den osteuropäischen EU-Mitgliedsländern fest verankert ist. Viele andere, wie etwa in Polen, Ungarn und jüngst Tschechien, sind über Korruptionsskandale oder Austeritätspolitiken gestolpert und in der Bedeutungslosigkeit versunken. Rechtspopulistische Parteien haben mit einer Mischung aus chauvinistischen Wohlfahrtsstaatsargumentationen, Nationalismus und diffuser Elitenkritik zum Teil sozialdemokratische Agenden besetzt und umgeformt. Wie lässt sich also der Erfolg der PSD erklären? Die sehr tiefgreifenden Austeritätspolitiken mit Lohnkürzungen von 25 Prozent im öffentlichen Sektor aus den Jahren 2010 haben sie nicht zu verantworten – Korruptionsskandale weisen sie reichlich auf, aber dies ist kein Alleinstellungsmerkmal der Partei.

Sie begann als Nachfolgepartei der Kommunistischen Partei Rumäniens und koalierte schon in den 90er-Jahren (inoffiziell) mit den damals recht stark vertretenen nationalistischen Kräften, während der wirtschaftliche Umbau eher schleppend verlief. In den 2000er-Jahren wandelte sie sich zu einer neoliberal ausgerichteten Partei, die vom Wirtschaftsboom profitierte, jedoch 2004 die Wahlen verlor. Sie war zeitweise Juniorpartner in Regierungen mit liberalen und konservativen Kräften.

Der Europawahlkampf des Jahres 2014 hatte eine national(-istische) Komponente: "Wir sind stolz Rumänen zu sein" oder "Wir verteidigen dich in Europa" waren die Slogans. Auch kommen aus diesem Lager immer wieder verbale Ausfälle gegen den Präsidenten Iohannis, der der deutschen Minderheit angehört oder gegen andere Minderheitenvertreter. So drohte der nun – aus ganz anderen Gründen – zurückgetretene Premierminister Tudose, Mitglieder der ungarischen Minderheit würden genauso "wehen", sollten sie eine Szekler-Flagge aufhängen. Die PSD unterstützt auch – mit einer abweichenden Stimme – die Koalition für die Familie, eine christlich-konservative Bewegung, die die Ehe zwischen Mann und Frau in der Verfassung festschreibt. Das Prestigeprojekt, die Kathedrale der Erlösung des Volkes im Zentrum von Bukarest, wird vom Staat und der regierenden PSD-Bukarest sehr großzügig finanziell unterstützt.

Auch gegen Änderungen im Justizsystem gehen die Rumänen auf die Straße.
Foto: AP Photo/Vadim Ghirda

Vermeintliche sozialdemokratische Wahlzuckerl

Das sozialdemokratische Element findet sich in ihrer Klientelpolitik noch in Ansätzen sedimentiert: die Erhöhung von Pensionen – die nun bereits drei mal verschoben wurde –, war ein zentrales Wahlanliegen. Sie haben ein sehr kontroverses Gesetz verabschiedet, wonach die Arbeitnehmer auch den Arbeitgeberanteil abführen sollen. Für viele Angestellte im privaten Sektor bedeutet dies eine Neuverhandlung der Gehälter. Argumentiert wird das mit der schlechten Zahlungsmoral von Unternehmen und mehr Transparenz für die Angestellten. Neun der zehn Unternehmen mit den höchsten Schulden sind staatlich verwaltet und auch die Bukarester Filiale der PSD hat sich hier negativ hervorgetan. Manche vermuten, dass das Wahlzuckerl der PSD – Anstieg der Löhne im Öffentlichen Dienst – nominell eingeführt und gleichzeitig für Angestellte wirkungslos bleiben wird, da sie nun die Sozialabgaben auch begleichen müssen.

Wirtschafts- und sozialpolitisch ist also die Ausrichtung vor allem eins: ungewiss. Ihre Wählerbasis hat sie im ländlichen Bereich und unter Pensionisten, obwohl sie bei den letzten Wahlen 2016 erstmals auch den Großteil der jungen Wähler auf sich vereinigen konnten und sogar die Hauptstadt Bukarest regieren. Ideologisch? Sie sind sehr flexibel und scheuen weder rechts noch links. Bisher jedoch scheint ein rechtsnationaler Wandel à la Polen, Ungarn oder auch Slowakei ausgeschlossen zu sein. Als Strategie würde die PSD diesen sicherlich nicht scheuen – nur allein ist die Resonanz in der Wählerschaft nicht so groß und letztendlich die Vormachtstellung aufgrund der Schwäche der Opposition unbestritten. (Tina Olteanu, 1.2.2018)

Tina Olteanu ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Ost- und Südosteuropa am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien.

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