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Weiße, rechtskonservative Christen bei einer Wahlveranstaltung von Donald Trump für Roy Moore.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/JOE RAEDLE

Der amerikanische Religionswissenschafter Randall Balmer hat einmal den Evangelikalismus in den USA mit dem Autokonzern General Motors verglichen. Zu General Motors gehören so unterschiedliche Marken wie Buick, Cadillac, GMC und Chevrolet, während man dem Evangelikalismus den Fundamentalismus, Neoevangelikalismus, die Heiligungs- und die Pfingstbewegung zuschreiben kann. Das theologische und ideologische Spektrum des Evangelikalismus ist breiter, als man weithin annimmt.

Gemeinsam ist diesen verschiedenen Strömungen, dass die Gläubigen eine "persönliche Beziehung" zu Jesus haben, die meist mit einer geistlichen Wiedergeburt, wie sie im dritten Kapitel des Johannesevangeliums geschildert wird, beginnt. Der Glaube an den auferstandenen Jesus steht im Mittelpunkt evangelikaler Theologie. Zumeist halten Evangelikale an einer engeren, oftmals wortwörtlichen Bibelinterpretation fest. Während viele Evangelikale die Unfehlbarkeit der Bibel in allem proklamieren, glauben andere jedoch, die Bibel sei nur in den Aussagen unfehlbar, die mit dem Glauben an Jesus zu tun haben. Die unterschiedlichen Bibelinterpretationen führen auch zu verschiedenen Auffassungen, was etwa die Homosexuellenehe oder die Schöpfung betrifft. So finden sich sowohl Kreationisten unter den Evangelikalen als auch Vertreter eines evolutionären Theismus, d. h. der Auffassung, Evolution sei ein Teil des Schöpfungsaktes. Anders ausgedrückt: Der Evangelikalismus ist weder ein monolithisches noch ein statisches Phänomen.

Gegen Trump, gegen Gott

Wenn man jedoch politische Analysen verfolgt, ergibt sich ein anderes Bild. So scheint es auf den ersten Blick, dass Evangelikale 2016 einheitlich für Trump gewählt haben und mit dessen Präsidentschaft nach wie vor völlig einverstanden sind. Diesen Eindruck verstärken auch fundamentalistische Prominente wie Jerry Falwell Jr. und Pat Robertson. Falwell, Präsident der Liberty University, die die größte evangelikale Universität des Landes ist, war bereits vor der Präsidentschaftswahl ein lautstarker Trump-Befürworter. Der betagte Robertson, der den fundamentalistischen TV-Sender Christian Broadcasting Network leitet, will in einer Vision Trump zur Rechten Gottes gesehen haben. Gegen Trump zu sein bedeute, gegen Gott zu sein, lautet Robinsons Botschaft.

Trumps engste Mitarbeiter wie Vizepräsident Mike Pence, Justizminister Jeff Sessions, Bildungsministerin Betsy DeVos und CIA-Direktor Mike Pompeo nehmen regelmäßig an Bibelstunden des fundamentalistisch-nationalistischen Predigers Ralph Drollinger teil. Für Drollinger ist der Wohlfahrtsstaat antibiblisch, und er fordert, dass christliche Politiker nur Christen anstellen dürfen, was in seinem "Manifest Rebuilding America: The Biblical Blueprint" nachzulesen ist, das er bereits 2013 vorlegte.

Eine Umfrage des Pew Research Center im Vorjahr zeigt allerdings, dass nicht alle, sondern vorwiegend weiße Evangelikale Trump zum Sieg verholfen haben. Wie lässt es sich aber erklären, dass weiße Evangelikale jemanden unterstützen, der weit von biblischen Moralvorstellungen entfernt ist? Hier bemüht man oft den Vergleich mit Kaiser Konstantin, dessen Machenschaften zwar nicht immer moralisch waren, der aber immerhin dafür sorgte, dass das Christentum zur Weltreligion wurde. Der Zweck heilige auch heute die Mittel. Dass für die USA nun Jerusalem die Hauptstadt Israels ist und dass Trump Abtreibungsgegner und reaktionäre Elemente unterstützt, rechnen ihm weiße evangelikale Männer besonders an. Trump wird als Retter des konservativ-weißen Patriarchats und von dessen kulturellen Werten gesehen. Die amerikanische Gesellschaft verändert sich rasant. Die weiße Mehrheit wird bald von Nichtweißen eingeholt werden, was für viele Weiße einer Tragödie gleichkommt. Nur jemand wie Trump könne den moralischen Untergang rückgängig machen und das weiße evangelikale Patriarchat stärken. Tony Perkins, Präsident des Family Research Council, hat kürzlich diese Logik untermauert. Zwar sei Trump als Mann nicht das christliche Vorbild par excellence, aber seine Politik sei dafür mustergültig, würden doch wieder christliche Werte gestärkt werden. Dass diese Position im besten Fall heuchlerisch und im schlimmsten Fall zynisch ist, bemerken Evangelikale wie Perkins nicht.

Fatale Moore-Kandidatur

Letzten Monat verlor der von Trump unterstützte Roy Moore, der Minderjährige belästigt und missbraucht haben soll, die Senatorenwahl in Alabama gegen den Demokraten Doug Jones, was dieser besonders schwarzen Wählerinnen zu verdanken hatte. Noch vor der Wahl nannte Mark Galli, Herausgeber von "Christianity Today", der größten und einflussreichsten evangelikalen Zeitschrift der USA, den christlichen Glauben als eigentlichen Verlierer. Der Konservative Galli warnte vor der unheiligen Allianz von republikanischer Politik und Evangelikalismus, die keine Demut kenne und nicht von christlicher Nächstenliebe geprägt sei.

Unter den Evangelikalen sind es nichtweiße Männer und Frauen aller Schichten und gebildete Weiße, die Trump und seine Politik ablehnen. Sie wissen, dass das Schlagwort evangelikal besonders in den letzten Monaten eine massive Bedeutungsveränderung bzw. -verschlechterung erfahren hat. Aus diesem Grund wenden sich viele Evangelikale von dem Begriff ab. Darunter sind die bekannten Theologen Scot McKnight und Thomas Kidd.

Einfach nur Christ

Doch was ist die Alternative? Kidd schlägt vor, sich zur eigenen Konfession zu bekennen. Was für den Baptisten Kidd leicht ist, stellt sich schwieriger für evangelikale Christen dar, die einer sogenannten "nondenominational church" angehören, d. h. einer von zahlreichen evangelikalen Kirchen, die sich nicht einer etablierten Konfession zugehörig fühlen. Scot McKnight meint daher, man solle sich einfach nur Christ nennen, worin ihm viele Gläubige und Institutionen folgen. Die Princeton Evangelical Fellowship, eine altehrwürdige evangelikale Einrichtung in der Nähe der Princeton University, nennt sich daher seit neuestem Princeton Christian Fellowship.

In dem Buch "Still Evangelical? Insiders Reconsider Political, Social, and Theological Meaning", das Ende Jänner erscheint, geben zwölf prominente Theologen, die das politische und theologische Spektrum des Evangelikalismus abdecken, eine vorsichtig optimistische Prognose ab. Ob das Etikett evangelikal tatsächlich noch zu retten ist, wird wohl auch davon abhängen, ob diejenigen Evangelikalen, die Trump nicht unterstützen, politisch aktiv werden, sich in aller Öffentlichkeit von dem faustischen Pakt mit Trump distanzieren und zu einem politischen Umschwung beitragen. (Gregor Thuswaldner, 30.1.2018)