SPD-Chef Martin Schulz will offenbar nun doch ein Regierungsamt in der großen Koalition und ist bereit, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als seine Chefin anzuerkennen.

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Es war eine doppelte Überraschung, was da am Dienstag in Berlin verkündet wurde. Ja, wir haben uns beim Thema Familiennachzug geeinigt, erklärten Vertreter von Union und SPD am Vormittag zwar nicht gemeinsam, aber doch in schönster Einigkeit.

Überraschung eins: Der Kompromiss wurde bereits bestätigt, obwohl noch andere Themen bei den Koalitionsverhandlungen offen sind. Überraschung zwei: eben die Einigung, da es sich um ein sehr schwieriges Terrain handelt.

Aber offenbar war beiden Seiten daran gelegen, einen Fortschritt beim symbolträchtigen Thema zu vermelden, zudem steht am Donnerstag eine konkrete Entscheidung im Bundestag zum künftigen Umgang mit Familiennachzug an.

Schon im Sondierungspapier hatten Union und SPD festgeschrieben, dass der Familiennachzug für Angehörige von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus bis 31. Juli ausgesetzt bleibt und dass danach maximal 1.000 Angehörige pro Monat nach Deutschland kommen dürfen.

Die SPD wollte diese Zahl nun in den Koalitionsgesprächen noch erhöhen, die Union nicht. Am Dienstag aber verkündete SPD-Chef Martin Schulz, die SPD habe sich durchgesetzt: "Wir haben jetzt eine Regelung 1.000 plus." Soll heißen: Im Rahmen einer Härtefallregelung könnten durchaus mehr als 1.000 Angehörige im Monat nach Deutschland kommen.

Kein Mehr an Zuwanderung

Die Union allerdings sieht das anders. "Neue Härtefallregelungen, die ein Mehr an Zuwanderung bedeutet hätten, gibt es nicht", betonte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Aus seiner Sicht, sind "Härtefälle" in den 1.000 Personen pro Monat bereits enthalten.

Tatsächlich geht es um eine sehr geringe Zahl. So sind im vergangenen Jahr laut Pro Asyl nur 100 Personen aufgrund dieser Härtefallregelung nach Deutschland gelangt. Daher regt sich auch in der SPD Widerstand, Juso-Chef Kevin Kühnert mag den Kompromiss im Gegensatz zu Schulz nicht als Erfolg werten. Die Formel "1.000 plus", mit der die SPD jetzt werbe, sei "leider nicht mehr als eine vage Hoffnung".

Vor allem Schulz braucht einen Erfolg, da er, anders als Merkel, noch eine Mitgliederabstimmung seiner Partei über den Koalitionsvertrag vor sich hat – und offenbar auch eine persönliche Ambition, die bei den Genossen für weitere Unruhe sogt.

Außen- oder Finanzressort

Es verdichten sich die Hinweise, dass Schulz nun doch einen Posten in Merkels Kabinett annehmen will. Er soll mit dem prestigeträchtigen Finanzministerium und dem Außenamt, das noch jedem seiner Chefs (außer Guido Westerwelle / FDP) zu Beliebtheit verholfen hat, liebäugeln.

Das Problem dabei: Schulz hat nach der Wahl strikt ausgeschlossen, jemals unter Kanzlerin Merkel Regierungsmitglied sein zu wollen. "Ganz klar: In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten", lautete sein Versprechen damals. Der designierte thüringische SPD-Vorsitzende Wolfgang Tiefensee warnt daher: "Eine 180-Grad-Wende in dieser Frage würde die Glaubwürdigkeit von Martin Schulz erschüttern."

Auch Merkel macht sich bereits über Neubesetzungen im Kabinett Gedanken. Sie soll eine jüngere CDU-Landespolitikerin für einen Ministerposten im Auge haben: Julia Klöckner (45), CDU-Chefin und Fraktionsvorsitzende im Rheinland. Sie ist zudem CDU-Vize auf Bundesebene.

Merkels besonderes Augenmerk gilt jedoch ihrer Vertrauten, Annegret Kramp-Karrenbauer (55). In der CDU heißt es, die saarländische Ministerpräsidentin sei möglicherweise sogar für Merkels Nachfolge auserkoren. Um sie bekannter zu machen, wolle Merkel die Frau, die als ähnlich bodenständig und unprätentiös gilt wie sie selbst, nun an den Kabinettstisch nach Berlin holen. (Birgit Baumann aus Berlin, 30.1.2018)