Moskau/Canberra – Bevor sich jemand sorgt, dass die Geschichte des Lebens jetzt um einen ihrer größten Zauber ärmer ist, gleich am Anfang eine Beruhigung: Es geht hier nur um eine Gruppe von Ediacara-Wesen, die Gattung Beltanelliformis. Dabei soll es sich laut einer aktuellen Studie bloß um Kolonien von Cyanobakterien gehandelt haben – zu diesem Befund kam ein russischer Forscher durch die Analyse von Biomarkern. Es bleiben aber noch genug Spezies übrig, die nach wie vor Rätsel aufgeben.

Die Wunderwelt des Ediacariums

Vor dem Zeitalter des Kambriums, in dem die bis heute existierenden Tierstämme einen sprunghaften Anstieg der Artenvielfalt erlebten, lag das Ediacarium. Inzwischen weiß man, dass bereits in diesem Zeitalter vor 635 bis 541 Millionen Jahren das Leben hohe Komplexität entwickelte. Da die Bewohner dieser Zeit aber noch keine harten Körperteile wie Panzer oder Stacheln entwickelt hatten, blieben sie viel seltener erhalten. Eine der Fundstätten sind die Ediacara Hills in Südaustralien.

Das Fehlen von harten Körperteilen und damit auch "Waffen" führte dazu, dass dem Ediacarium der Ruf eines friedlichen Paradieses angehaftet wurde. Dazu kam, dass sich die meisten Fossilien aus dieser Zeit nicht so recht zuordnen lassen: Die Spekulationen reichen von Vorläufern heutiger Tier- oder Pflanzenstämme über ausgestorbene Untergruppen bis hin zu völlig eigenständigen Zweigen des vielzelligen Lebens, die es heute nicht mehr gäbe.

Eine Ansammlung von Beltanelliformis.
Foto: Sergey Bagirov

Ähnlich groß war auch die Palette der Erklärungen für die Beltanelliformis. Hinterlassen haben sie Ansammlungen von annähernd kreisrunden Abdrücken von etwa einem Zentimeter Durchmesser. Sie zeigen ein Muster von konzentrischen Falten, die unter anderem als Spuren von Muskeln gedeutet wurden – es könnte sich also um Nesseltiere wie etwa Schirmquallen gehandelt haben. Andere Forscher interpretierten sie unter anderem als Schwämme, Pilze, Flechten oder Algen.

Ilja Bobrowskij von der Moskauer Lomonossow-Universität wollte das Rätsel um diese Lebensformen lösen, indem er es nicht von der morphologischen Seite her anging. Der Forscher, der derzeit an der Australian National University arbeitet, interessierte sich vielmehr für die chemischen Signaturen der Fossilien. Die Abdrücke enthalten nämlich Reste eines dünnen Biofilms – es dürfte das Material sein, aus dem die Wesen einst bestanden.

Zum Vergleich: heute lebende Kolonien von Cyanobakterien.
Foto: Robert Petley-Jones

Und Bobrowskij fand einige Biomarker, die sehr vertraut wirkten. Es waren zum einen langkettige n-Alkane, gesättigte Kohlenwasserstoffe, die typisch für heutige Pflanzen, aber auch für in Süßwasser oder terrestrisch lebende Cyanobakterien sind. Außerdem wiesen die Fossilien hohe Hopan-Werte auf – und Hopanoide sind in den Membranen von Bakterien enthalten, um sie zu verstärken.

Beide Komponenten zusammengenommen führten den Forscher zum Schluss, dass es sich bei den Beltanelliformis um Kolonien präkambrischer Cyanobakterien handelt. Bobrowskij glaubt, dass die uralten Wesen von einer Schicht geschützt waren, die sie für kurze Zeit vor dem Austrocknen schützte. Sie könnten also nicht nur im Meer, sondern auch in Süßwasseransammlungen oder in der Gezeitenzone gelebt haben – Pioniere des Lebens an Land.

Wenn Bobrowskij mit seiner Vermutung recht hat, ist eines der rätselhaften Wesen aus dem Ediacarium entschlüsselt. Es gibt noch reichlich andere – denen will der Forscher mit seiner Biomarker-Analyse aber nun ebenfalls zu Leibe rücken. (jdo, 3. 2. 2018)