Über Ursachen und Bedeutung der Proteste im Iran um die Jahreswende wurde viel diskutiert: Handelte es sich um Sozialproteste, war es eine aus dem Ruder gelaufene Aktion der Hardliner gegen Präsident Hassan Rohani, ging es um Reform oder um Umsturz? Was die Quantität betrifft, kamen die Demonstrationen der grünen Bewegung von 2009, die politische Ursachen – eine gefälschte Wahl – hatte, nicht gleich. Qualitativ war jedoch einiges frappierend: etwa die wichtige Rolle der Demonstranten in kleineren Städten, also von Menschen, die nicht darauf hoffen können, in der anonymen Großstadtmasse untergehen zu können. Sie standen mit ihrer Identität ein.

Genau das gilt auch für die Frauen, die sich derzeit auf eine Erhebung stellen, ihre Kopftücher abnehmen und sie als Fahne aufpflanzen, nicht nur in Teheran, sondern auch in konservativen Städten wie Mashhad und Ghom. Gemessen an der iranischen Bevölkerung ist ihre Zahl (noch?) gering, ihr Multiplikator sind die sozialen Medien. Aber es greift zu kurz zu sagen, es handle sich um ein paar Repräsentantinnen der postpostrevolutionären nasenoperierten iranischen Mädchengeneration, die ganz normal leben will, wofür modische Freiheiten eben wichtig sind. Da gibt es weißhaarige Damen, die mühsam Mauern erklettern. Und Kopftuchträgerinnen: Sie lassen ihres auf dem Haupt und protestieren mit einem zweiten.

Dabei geht es um mehr als nur um temporären Frust. Die Frauen im Iran sind jener Teil der Bevölkerung, dem sozusagen die Aufgabe zukommt, die islamische Identität manifest zu machen. Das islamische Branding tragen sie auf dem Kopf herum, gratis beziehungsweise auch umsonst. Denn sie haben nichts davon in einem Staat, der von Erstickung von innen und von außen bedroht ist.

Die Kopftuch-Intifada ist ein Antiregimeprotest. Zur Erzählung der Islamischen Republik gehört, dass gerade durch die Islamisierung des öffentlichen Raums nach der Revolution Frauen aus allen Schichten in Bildung und Berufsleben fanden. Aber 39 Jahre später – in wenigen Tagen ist Jahrestag – genügt das schon lange nicht mehr. Sogar in Saudi-Arabien, das bisher haushoch hinter dem Iran lag, was die Rolle der Frauen anbelangt, dreht sich die Welt weiter. Vielleicht entsteht ja eine iranisch-saudische Bewegung – die von freiwilligen Kopftuchträgerinnen im Westen unterstützt wird, die ihren Hidschab aus Solidarität für einen Moment ablegen. Es wäre eine starke Aussage. (Gudrun Harrer, 2.2.2018)