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Zugschienen und Gitarrensaiten haben wenig gemein, außer dass beide Geräusche machen, wenn sie zu schwingen beginnen. Daraus lässt sich dann sogar Kapital schlagen.

Foto: AP/Michael Probst

Wien – Auf den ersten Blick haben eine Zugschiene und eine Gitarrensaite wenig gemeinsam. Auf den zweiten tut sich allerdings eine entscheidende Ähnlichkeit auf: Beide erzeugen Geräusche, wenn sie schwingen. Wenn auch das menschliche Gehör für den Klang einer Gitarrensaite empfänglicher ist als für jenen eines vorbeirauschenden Zugs. Dennoch hat sich der Gummi- und Kunststoffkonzern Semperit diese Eigenschaft zunutze gemacht, um die akustische Umweltverschmutzung beim fahrenden Zug zu minimieren. Das internationale Unternehmen mit Sitz in Wien hat dafür die sogenannte elastische Schienenzwischenlage weiterentwickelt. Denn Schallschutz wird in städtischen Ballungsräumen, in denen sich Bahninfrastruktur und Wohngegenden berühren, ein immer wichtigeres Thema.

Die Schienenzwischenlage liegt – wie der Name vermuten lässt – zwischen der Schiene und der Schwelle. Die Schwelle ist jene Querverstrebung, die die Schiene trägt. Die Zwischenlage dient als elastische Entkopplung und schützt die Schwelle vor der Einwirkung eines fahrenden Zugs. Bei einer starren Verbindung wäre diese zu stark. Das Zusammenspiel von Rad, Schiene und Schwelle führt dazu, dass der Gleiskörper zu schwingen beginnt und Geräusche erzeugt.

Die Schwellen befinden sich an einer Schiene in gleichmäßigen Abständen, so wie die Bünde bei einer Gitarre. "Die Schwierigkeit war, die Schienenzwischenlage so zu optimieren, dass sie ihre ursprünglichen Eigenschaften nicht verliert, aber dennoch um die schallreduzierende Wirkung erweitert wird", sagt Reza Beglari, leitender Innovationsmanager bei Semperit. Das Material und die Geometrie des Teils hätten dementsprechend verändert werden müssen. Glücklicherweise dämme der verwendete Gummi nicht nur Wärme und Kälte, sondern in diesem speziellen Fall auch Schall.

Billiger als Lärmschutzwand

Vielerorts wird zur Lärmreduktion von fahrenden Zügen zu Lärmschutzwänden gegriffen. Beglari zufolge bringen diese Mehrkosten von 2500 Euro pro Gleismeter mit sich. Die Zwischenlage koste pro Meter hingegen nur einen bis fünf Euro mehr. So stark wie eine Lärmschutzwand dämpfe diese allerdings nicht.

"Eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung waren die Belastungstests. Eine Schienenzwischenlage muss zehn bis 20 Jahre durchhalten und also eine Belastung von 400 Mio. Tonnen aushalten. Das entspricht einem vollbeladenen Güterzug, den man zweimal um den Erdball wickelt. Die lange Lebensdauer sei essenziell, weil der Austausch sehr aufwendig sei, erklärt Beglari. Die Testphase für die leiseren Gleise musste unter "realen Bedingungen" durchgeführt werden. Man habe auf dem Semperit-Firmengelände zwar einen Testabschnitt, doch hierfür habe man auf eine tatsächlich befahrene Strecke ausweichen müssen. Auf einem 500 Meter langen Abschnitt wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren Lärmpegelmessungen mit verschiedenen Prototypen durchgeführt.

Einsatz in Belgien

Aktuell kommt die neue Schienenzwischenlage auf Strecken der belgischen Bahn zum Einsatz. Ziel sei es, das Produkt 2018 auch am österreichischen und deutschen Markt zu etablieren. Gespräche mit ÖBB und der Deutschen Bahn würden diesbezüglich bereits geführt.

Dass das Unternehmen seit einiger Zeit mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat, ist bekannt. Erst kürzlich kündigte Konzernchef Martin Füllenbach grundlegende Restrukturierungen für alle vier Firmensparten an. Wie sich das auf die hier betroffene Sparte Semperform auswirke, sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar, sagt Konzernsprecherin Monika Riedel. Füllenbach zog sogar den Verkauf einer ganzen Sparte in Erwägung. Das Sorgenkind sei die Handschuhsparte Sempermed, die 40 Prozent des Umsatzes ausmacht. (Andreas Danzer, 3.2.2018)