
Dave Gahan ist die Stimme und Seele von Depeche Mode. Optisch traut man ihm die Zuhälterei als zweites Standbein zu.
Wien – Die Erinnerung ist der Süßstoff des Alters. Am Sonntag streuten Depeche Mode ordentlich Zucker auf diesen Kuchen. Vor allem mit "Everything Counts". So heißt ein Lied aus ihrem 1983 erschienenen Album "Construction Time Again". Ein Synthie-Pop-Klassiker, der dem Publikum in der Wiener Stadthalle in Erinnerung rief, warum es sich damals in die Band verliebt hatte.
Im Jahr 2018 verantwortete der Song eine Saalerhebung, glückliche Gesichter und einen vielstimmigen Chor, den Dave Gahan am Ende mit den Worten "Vienna, you're the best" streichelte. Ein bisserl kitschig darf so ein Abend schon sein.
Lebensbegleiter
Immerhin stehen Depeche Mode seit 1981 für uns da vorne auf der Bühne. Damit zählen sie also für fast zwei Generationen zu den lebensbegleitenden Bands, was die ausverkaufte Halle bestätigte. Kurz vor "Everything Counts" war das Konzert am Sonntag aber harsch abgebremst worden. Martin Gore darf nämlich auch.
Der ist zwar das musikalische Hirn der britischen Band, doch Frontmann ist er keiner. Dennoch durfte er für zwei Songs ans Mikro. "Insight" ist eine Klavierballade, wie sie bei Elton John täglich im Papierkübel landen.
Alibigitarre
Bei "Home", dem zweiten Lied, unterstützte der Saal den Over-underdressed-Musiker tatkräftig, während der, knieweich und mit Alibigitarre behangen, den weiten Weg auf den Steg in den Saal nahm. Aber man kann das als charmant betrachten, dass der Superstar Superstar nicht kann. Das Publikum liebte ihn dafür.
Gahan bekam als Kollateralsegen derweil Zeit zu verschnaufen und das Oberteil zu wechseln. Er war in bestechender Form. Mit seinen 55 Jahren gleicht er einem in die Jahre gekommener Edelstricher mit unedel zerlaufender Schminke und einem verruchten Bleistiftbart an der Oberlippe. Er charmierte die Halle.
Drehbar wie ein Stabmixer
Yogaelastisch und drehbar wie ein Stabmixer, ist er die Stimme und Seele dieser Synthiepop-Institution. Sie hatte in den 1980ern dem britischen Label Mute ermöglicht, diverse kommerzielle Nasenbohrer wie Nick Cave, Crime and the City Solution und viele andere Heilige aus dem Schattenreich durchzufüttern, bis auch bei ihnen die Habenseite anschwoll. Schon deshalb steht man bei Depeche Mode in der Schuld.
Dass ihre neuen Alben eher aus Gewohnheit und zu viel Tagesfreizeit entstehen, geschenkt. Ein, zwei tolle Songs fallen immer ab, live mixte man diese in ein gepflegtes Hit-Programm. "It's No Good" markierte als zweiter Song den ersten Höhepunkt.
Unbrauchbar mit derbem Bass
Die Band hat sich über die letzten Jahre beständig hin zu einem elektronischen Rock entwickelt, was live auch mehr darstellt als steife Elektronikarbeiter an den Tasten. "Useless", das einst Kruder & Dorfmeister im Remix veredelten, spielten Depeche Mode live mit derbem Bass, zu dem Gore ein paar harte Gitarrenriffs beisteuerte.
Dass er immer noch wie ein Gitarrenschüler wirkte – wie gesagt, Showman ist er keiner. Gahan ist der "Personal Jesus" dieser Glaubensgemeinschaft. Ein exaltierter Tänzer und Entertainer, der den Saal in jeder Sekunde dirigiert. Einzig "Cover Me" vom aktuellen Album war schwach.
Bescheidener Starman
Ein Astronauten-Epos, das Starman David Bowie besser erledigt hat, seinerzeit. Ansonsten gab sich die fünfköpfige Gruppe mit Christian Eigner am Schlagzeug als österreichischem Beitrag keine Blöße. Man könnte das, wie alles, an dem Nostalgie klebt, als schnöde Bestätigungskultur denunzieren, die Begeisterung im Saal war da aber das klar stärkere Argument dagegen. (Karl Fluch, 5.2.2018)