Ehe-Bilanz vor dem Abendessen in Anderthalb Stunden zu spät

Foto: Lupi Spuma

Wien – Das Stück Anderthalb Stunden zu spät – in der Regie von Aurelina Bücher – öffnet keine Türen und bietet keinen Tapetenwechsel. Zumindest nicht im buchstäblichen Sinne, denn Pierre (Rainer Galke) und Laurence (Bettina Ernst) kommen nicht über die Schwelle ihrer Wohnungstür hinaus. Keine zehn Pferde bringen Laurence zu einem Abendessen bei den Chalmets. Noch viel weniger ihr Mann Pierre, der – mit Überredungskünsten gerüstet – die Einladung seines Freundes eigentlich nicht aufgeben will.

Jedoch: Statt Smalltalk mit Bekannten zu führen, hat Laurence das Bedürfnis, mit ihrem Mann zu reden. In den nächsten vierzig Minuten gesteht sie ihm ihre Angst, überflüssig zu werden, ein und hinterfragt ihr Leben: also ihre Ehe und ihrer Wandlung von einer Kämpferin für die proletarische Weltrevolution zur Hausfrau.

Das Gespräch wird zum Ventil für beide Eheleute: Nur wenige Themen bleiben Pierre und Laurence heilig und nur wenige Fragen für die Zuschauer offen. Die Sexualität ihrer Kinder, die Abneigung gegen Schwiegertochter und Schwiegersohn werden genauso thematisiert wie intime Geheimnisse ihrer Freunde. Im Strudel des Lästerns und Beichtens stellen sie schließlich mit leichtem Bedauern fest, dass keiner den anderen je betrogen hat.

Rasante Dialoge

Als Laurence ihre Malutensilien auspackt und Pierre die Salontür aus den Angeln hebt, reißen alle Stricke, und aus dem Abendessen bei den Chalmets wird dann ein groteskes Dinner für zwei. Rasant entwickelt sich der Dialog, wobei keiner der beiden in Sachen Schlagfertigkeit den Kürzeren zieht. Die spannungsgeladene Konversation stellt dabei nicht nur einfach einen verbalen Austausch, sondern auch die Konfrontation mit dem Befinden des jeweils anderen dar: ob mit oder ohne Identitätskrise.

Rainer Galke scheint in der Rolle des Pierre noch stärker verankert zu sein als Bettina Ernst in der Rolle der Laurence. Wenn diese jedoch in Sarghaltung pathetisch mit ihrem Leben abschließt oder mit Händen und Wangen Farben auf die Leinwand aufbringt, verdankt man ihr die vergnüglichsten Momente des Stückes.

In Anderthalb Stunden zu spät kommt eines gerade rechtzeitig: der klärende Dialog zwischen zwei Menschen, die doch kein so schlechtes Los miteinander gezogen haben. Dabei gestaltet sich das Gespräch in einer Art und Weise, wie sie vermutlich viele Paare kennen. Umso besser, dass Gérald Sibleyras französisches Stück nun auch hierzulande zu sehen ist. (Hannah Mühlparzer, 5.2.2018)