Die Regierung will wieder einmal das Strafgesetz verschärfen, doch Fachleute sagen: Höhere Strafen würden bei Sexualtätern ebenso wenig helfen "wie bei Drogenabhängigen, die man vom Heroin abzuhalten versucht".

Foto: Matthias Cremer

Wien – Karoline Edtstadler argumentiert – ganz nach Vorbild ihres Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) – mit Volkes Stimme. Immer wieder gebe es Urteile, "die wir der Bevölkerung schlicht nicht erklären können", sagt die Staatssekretärin und ehemalige Richterin, die deshalb die Strafen für Sexual- und Gewaltdelikte erhöhen will. "Unverhältnismäßigkeiten" sieht sie im System und illustrierte dies im "Ö1-Morgenjournal" mit einem plakativen Vergleich: Wer Jugendliche sexuell missbrauche, habe mit keiner höheren Strafe zu rechnen als ein Dieb, der mehr als 5000 Euro mitgehen lasse.

Karoline Edtstadler (ÖVP), Staatssekretärin im Innenministerium, verteidigte im ZIB-2-Interview die angedachten strengeren Strafen für Sexualdelikte, die von vielen Experten als populistisch kritisiert werden.
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Es wird wohl tatsächlich viele Bürger geben, denen dieses Beispiel beim ersten Hinhören einleuchtet – schließlich kann sexueller Missbrauch Traumata auslösen, mit denen Opfer viele Jahre zu kämpfen haben. Doch hält das Beispiel auch einer genaueren Überprüfung stand? Und ist mehr Strenge tatsächlich sinnvoll?

Formal gedeckt

Vom Strafgesetzbuch sind die Aussagen der ÖVP-Politikerin formal gedeckt. Paragraf 128 bedroht schweren Diebstahl mit Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren. Denselben Strafrahmen sieht Paragraf 207b unter dem Titel sexueller Missbrauch von Jugendlichen vor. Dennoch hält Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs Edtstadlers Beispiel für missverständlich.

Wenn die Staatssekretärin im Radio von sexuellem Missbrauch spreche, "dann denken die Menschen wohl an Fälle, in denen etwa jemand im Schwimmbad einen Zwölfjährigen missbraucht", sagt Fuchs. Tatsächlich ziele 207b aber auf Fälle ab, in denen das Opfer über 14 Jahre alt ist und grundsätzlich selbst über seine Sexualität bestimmen kann. Es besteht zwar ein Abhängigkeitsverhältnis, Drohung, Nötigung oder andere Gewalt ist jedoch nicht im Spiel. Denkbar sei ein Sporttrainer, der sich mit einem Schützling einlässt, erläutert Fuchs, oder eine Liaison zwischen Lehrer und Schülerin.

Letztlich liegt bei einem derartigen Sachverhalt, wie der Experte sagt, immer ein Einverständnis vor. Für Vergewaltigung und andere Gewaltdelikte gilt schon jetzt ein vielfaches Strafmaß.

Spirale nach oben im Gang

Fuchs kann in Edtstadlers Exempel ebenso wenig das behauptete Ungleichgewicht erkennen wie sein Kollege Klaus Schwaighofer. "Da muss man die Kirche im Dorf lassen", sagt der Strafrechtler von der Uni Innsbruck, beim angesprochenen Paragrafen handle es sich um "keine Fälle von Schwerkriminalität. Da geht es um Menschen, die sexuell selbstbestimmt sind und, wenn sie über 16 sind, heiraten können."

Generell ist Schwaighofer "absolut dagegen", dass schon wieder am Strafmaß "herumgeschraubt" wird: Die letzte Erhöhung für Delikte gegen Leib und Leben ist mit 2016 datiert, "auch die Strafen für Sexualdelikte wurden immer wieder gewaltig angehoben" – jetzt gelte es erst einmal, die Folgen zu überprüfen. Schärfe man unüberlegt einen Paragrafen nach, passe dann wieder nicht das Verhältnis zu einem anderen: "Da setzt sich eine Spirale nach oben in Gang."

Aber ist das so schlecht? Schließlich argumentiert die im Innenministerium angesiedelte Staatssekretärin Edtstadler mit Abschreckung: Höhere Strafen sollen potenzielle Täter von vornherein abhalten.

Auch mit diesem Argument können die Fachleute wenig anfangen. "Strafen dürfen nicht bagatellisieren", sagt Fuchs, doch ab einem gewissen Maß wirke sich eine Erhöhung der Drohung in Sachen Abschreckung "marginal oder gar nicht aus". Dies gelte besonders für Sexualdelikte, ergänzt Schwaighofer. Die Täter seien meist Menschen mit Persönlichkeitsstörung – da würden höhere Strafen ebenso wenig helfen wie bei Drogenabhängigen, die man vom Heroin abzuhalten versucht.

Breite Kritik an Verschärfung

Breit ist der Widerstand in der Expertenschaft gegen das Vorhaben, das vom Justizministerium umgesetzt werden soll. Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung, sieht eine "plakative Maßnahme", die niemanden von Sexualdelikten abhalten werde, und fordert vor einer neuerlichen Reform erst einmal die Evaluierung der alten. Auch Rupert Wolff, Präsident der Rechtsanwälte, erkennt keine Notwendigkeit für eine Verschärfung: Die Richter hätten genug Spielraum, innerhalb der vorgesehenen Höchststrafen zu differenzieren.

Wenn schon eine Reform, dann sollte diese nicht immer auf mehr Haft abzielen, sagt der Strafrechtler Fuchs. Denn dass Resozialisierung im Gefängnis funktioniere, habe sich vielfach als Irrtum entpuppt: "Menschen, die ihr Leben ohnehin nicht im Griff haben, verlieren dort noch mehr ihre Selbstständigkeit." Man könne die Strafanstalten natürlich nicht gänzlich abschaffen, aber allemal innovative Modelle entwickeln, um die Überwachung in Halbfreiheit zu ermöglichen. "Die wenigsten Menschen", merkt Fuchs an, "können sich vorstellen, was auch nur ein Monat im Gefängnis wirklich bedeutet." (Gerald John, 5.2.2018)