Während die Koalitionsspitzen rund um das NS-Liederbuch bei der Causa Germania zu Wiener Neustadt "die volle Härte des NS-Verbotsgesetzes" in Aussicht stellen, legt das Justizministerium auf STANDARD-Anfrage aktuelle Zahlen bezüglich Wiederbetätigung, Verhetzung und ähnlicher Delikten vor: 226 entsprechende Schuldsprüche hagelte es hierzulande im Vorjahr.

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Besonders drastisch ist der Anstieg an Verurteilungen bei Verhetzung, worunter das Strafrecht das Beschimpfen und Verächtlichmachen religiöser oder ethnischer Gruppen summiert. 107 Schuldsprüche im Vorjahr entspricht mehr als einer Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2015, in dem es nur 49 Verurteilungen nach Paragraf 283 des Strafgesetzbuches gab.

Grafik: Der Standard, Quelle: BMJ

Wien – In der Causa rund um das NS-Liederbuch bei der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt ist neben anderen Zeugen auch Udo Landbauer, bis vor kurzem Vizevorsitzender der Verbindung sowie FPÖ-Frontmann bei der Niederösterreich-Wahl, nun Politaussteiger, einvernommen worden, wie die Staatsanwaltschaft der APA bestätigte.

Die Einvernahmen der vier Verdächtigen, die für das Liederbuch verantwortlich sein sollen, sind weitgehend abgeschlossen, doch das Verfahren dürfte noch länger andauern – nicht zuletzt deshalb, weil die die Staatsanwaltschaft chemisch untersuchen lässt, wann die inkriminierenden Passagen geschwärzt wurden, in denen etwa "die siebte Million" in Anspielung auf den Judenmord während der NS-Zeit besungen wird.

Was die von der türkis-blauen Koalition angekündigte Vereinsauflösung betrifft, hat die Burschenschaft von den Behörden bisher jedoch noch nichts gehört.

Konsequente Verfolgung

Wie hart greift die Justiz also bei Verdacht auf Wiederbetätigung, Verhetzung und Co in der Regel durch? Laut der aktuellen Statistik des Justizministeriums wurden im Jahr 2017 im Zuge von 214 Anklagen 119 Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz ausgesprochen, in 21 Fällen einigte man sich auf eine Diversion. Zum Vergleich: 2016 gab es nach 213 Anklageerhebungen 85 Schuldsprüche, 2015 nur 79 nach 167 Anklagen.

Die Zahl der Anzeigen und damit die angefallenen Verfahren bei der Staatsanwaltschaft blieben im Vergleichszeitraum mit 1.093 im Vorjahr, 1.170 im Jahr 2016 und 1.097 im Jahr 2015 relativ konstant. Christian Pilnacek, Strafrechtssektionschef im Justizressort, sieht in den steigenden Verurteilungen einen Beleg dafür, dass solche Delikte "konsequent verfolgt werden".

Verhetzen statt Netzwerken

Noch drastischer ist der Anstieg bei Verhetzung, also bei Vergehen, bei denen Minderheiten beschimpft oder verächtlich gemacht werden. Da vervielfachten sich die Verurteilungen um mehr als "hundert Prozent", wie Pilnacek vorrechnet – und "zu 90 Prozent" fänden Delikte gemäß Paragraf 283 des Strafgesetzbuchs in den virtuellen Netzwerken statt. 49 Schuldsprüche 2015 und 52 im Jahr 2016 stehen hier 107 Verurteilungen von 2017 gegenüber. Die Anzeigen in dem Zeitraum stiegen von 516 auf 677 und schließlich auf 827 im Vorjahr.

Dass es mehr Schuldsprüche hagelt, führt der Experte auch auf eine Verschärfung des Straftatbestands zurück: Seit 2016 stehen bis zu zwei Jahre Haft darauf, wenn circa dreißig Menschen (davor 150) zu Gewalt aufgefordert oder zu Hass angestachelt werden. Verbreitet man Tiraden gegen eine Gruppe, sodass es deren Menschenwürde verletzt, vor 150 Personen, wie auf Facebook, Twitter und Co leicht möglich, kann man sogar drei Jahre Haft ausfassen.

DER STANDARD liest mit

Erst am Montag ist eine 32-jährige Kärntnerin von einem Geschworenensenat wegen Vorstoßes gegen das Verbotsgesetz einstimmig zu zehn Monaten bedingter Haft und 3.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden, weil sie auf Facebook Videos und Bilder gestellt hat, die u. a. den NS-Völkermord leugneten – das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Beim STANDARD sind dreizehn Mitarbeiter beschäftigt, um die Postings in den Foren zu sichten, täglich werden bis zu 40.000 Stück gescannt, aktuell rund fünf Prozent davon wegen bedenklicher Inhalte gelöscht. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Forenregeln oder gesetzliche Normen werden Poster gesperrt. (Nina Weißensteiner, 5.2.2018)