Patrick Wagner wird diesen Donnerstag mit seinem Trio Gewalt das Publikum in der Wiener Arena an die Wand fahren: "Ich bin ein böser Junge, du bist ein böser Junge. Wir sind böse Jungs. Das ist böse."

Gewalt / This Charming Man Records

Ein Drumcomputer pocht stur und wuchtig. Darüber hören wir Feedbackpfeifen und harte Gitarrenriffs. Gemeinsam mit den Musikerinnen Yelka Wehmeier und Helen Henfling meldet sich Brülltier Patrick Wagner, einer der wegen seiner (selbstironischen) Großmäuligkeit umstrittensten deutschen Musiker ("Größer als Gott") nach mehr als einem Jahrzehnt Pause unter dem Signet Gewalt zurück.

In der Tradition seines früheren Trios Surrogat (Hell in Hell) bricht der ehemalige Labelbetreiber (Kitty-Yo, Louisville Records), der unter anderem die feministische Elektropunkerin Peaches, das Jeans Team und Naked Lunch betreute, die Vorgaben brutaler Rockmusik mit Schlagworttexten zu minimalistischen Songbrocken herunter: "Unser Blick geht zurück / Unsere Schönheit ist auf der Flucht / Pandora, du Bitch / für uns ein Haufen Nichts / Arbeit, Krankheit, Tod."

STANDARD: Laut Google leitet sich das Wort Gewalt vom althochdeutschen "waltan" ab. Das steht für "stark sein" oder "beherrschen". Meist wird der Begriff heute negativ bewertet. Es besteht laut Gesetz ja auch ein dezidiertes Gewaltverbot. Warum nennt man dann ausgerechnet seine neue Band so? Ist das provokant pubertär?

Wagner: Wir stehen unter dem steten Eindruck, beherrscht zu werden. Gewalt durchströmt uns. Auf der einen Seite wollen wir Gewalt verstärken, auf der anderen Seite uns durch die Musik davon befreien. Ein anderes Element unserer Band wäre: Gewalt ist unser zen-buddhistisches Koan. Es verhindert, Gewöhnliches zu tun.

STANDARD: Wenn man in die Ecke getrieben wird, reagiert man aggressiv. Leisten Sie mit Ihrer Musik Widerstand? Rein textlich vertrauen Sie ja schon sehr stark auf Schlagwörter.

Wagner: Bei Gewalt werden schon Geschichten erzählt, natürlich aufs Äußerste verdichtet. Und ja, mehr denn je muss die Kunst Widerstand sein – gegen unsere selbstgebaute Entmenschung, gegen ein angstdominiertes Leben. Dazu müssen wir dem Menschen Raum für alle seine Untiefen liefern. Dieser Raum ist selten.

STANDARD: "Um dem Grauen zu entkommen, muss man sich ganz darin versenken." Sie stimmen also Jean Genets allzeit beliebter Lebenserfahrung zu?

Wagner: Ja, zu 100 Prozent. Erst müssen wir das Grauen erkennen, dann müssen wir uns darin versenken, und von diesem "ground minus zero" kann man sich wieder emanzipieren und ans Licht treten. Auch insofern meinen und empfinden wir Gewalt als Akt der Befreiung.

STANDARD: Wer fühlt sich nach einem Konzert von Gewalt erlöster, die Band oder das Publikum?

Wagner: Haha, nach dem Konzert fühlt sich das Publikum von Gewalt erlöst in jedwedem Sinne. Nein, ich vermute, dass wir im Schnitt ähnlich "fühlen". Wir empfinden großen Schmerz (meist den ureigenen) und großes Glück. Aber es ist recht schwer, für sein Publikum zu sprechen.

STANDARD: Sie stehen in der Tradition großer, sehr "männlicher" Noise-Bands wie Big Black. War es eine bewusste Entscheidung, Frauen in die Band aufzunehmen, um das ganze Testosteron am Mikrofon zu konterkarieren?

Wagner: Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Mir ist das Bild des breitbeinigen Noise-Rockers ein Graus, zumal dieser Lärm in den meisten Fällen inhaltsleer ist. Gewalt ist auch als gesprochenes Wort oder auch in Zimmerlautstärke Gewalt. Hier kracht die Seele, nicht der Verstärker. Abgesehen davon ballern Yelka und Helen gemeinsam mit mir eh besser als diese ganzen Noise-Typen. Es geht ja zusätzlich auch um Tanzen, Schönheit, das Licht eben.

STANDARD: Sie gehen zügig auf die 50 zu. Sehen Sie das virile Brüllen älterer Männer als mögliches Problem? Das kann ja auch leicht, sagen wir, rührend wirken, wenn da einer so herumtobt. Oder ist diese "Fehlerquelle" auch ein Instrument, um Angriffsflächen zu bieten, sich sozusagen verletzlich zu machen?

Wagner: Ich bin darüber hinweg, über Wirkung nachzudenken. Ich glaube, das ist der stärkste Effekt des Alterns. Und ja, ich bin, wie es mein Musikerkollege Max Gruber alias Drangsal in unserem gemeinsamen Song So geht die Geschichte formuliert, "völlig unverschämt". Ich bezweifle aber, dass irgendwer diese Altersfreiheit als "rührend" empfindet. Vielleicht sprechen wir beide nach dem Konzert darüber.

STANDARD: Sprechen wir noch kurz über das Beharren, in all dem Schlechten trotzdem noch irgendwo nach einem Ausweg, nach dem Guten zu suchen. Ihr aktueller Song "Wir sind sicher" hat doch bei allem eventuellen Zynismus mit der gebrüllten Titelaussage auch etwas Tröstliches: "Ein Nest / eine Hütte / ein Bau / eine Rüstung / ein Lachen / eine Geste / eine Distanz / ein Vater / Vergeltung / ein Glaube / eine Umarmung / eine Stadt / eine Wissenschaft / ein Ofen / ein Baum / Betäubung ..."

Wagner: Interessant. Der Trost liegt darin, diese vergebliche Suche nach Sicherheit zu unterlassen. Ich verwehre mich gerade auch bei Wir sind sicher gegen Zynismus. Es hat vielmehr mit Verzweiflung zu tun.

STANDARD: Gibt es in Ihrer Kunst, abgesehen von einem Programm der konsequenten Desillusionierung, auch so etwas wie kathartische Momente?

Wagner: Unbedingt. Zuhauf.

STANDARD: Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich Gewalt als Romantik mit dem Vorschlaghammer betrachte.

Wagner: Um mich selbst zu zitieren: "Ich bin ein böser Junge, du bist ein böser Junge. Wir sind böse Jungs. Das ist böse."

STANDARD: Danke! Ich bringe zum Konzert einen Mundschutz mit.

Wagner: Oh ja.

(Christian Schachinger, 7.2.2018)