Entfernt der Partner beim Sex das Kondom heimlich wieder, spricht man von Stealthing.

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Ein Phänomen erlangte 2017 traurige Internetbekanntheit: Stealthing nennt man es, wenn jemand während des Sex heimlich, also ohne Einverständnis des Gegenübers, das Kondom entfernt oder absichtlich ein beschädigtes Kondom verwendet. Während sich in einschlägigen Foren User über bestmögliche Techniken austauschen, wächst andernorts das Bewusstsein darüber, dass es sich nicht um einen "Sex-Trend", sondern vielmehr um einen sexuellen Übergriff handelt.

Diese Ansicht sowie die Aufmerksamkeit für das Thema sind vor allem der US-amerikanischen Rechtswissenschafterin Alexandra Brodsky zu verdanken, die ausgehend von Berichten von Betroffenen eine empirische Studie durchführte. Juristisch interessant ist insbesondere ihr Versuch, dieses Vorgehen rechtlich und aus feministischer Perspektive auf sexuellen Konsens einordenbar zu machen. Ihrem Ansatz folgend werde ich zwei Möglichkeiten besprechen, wie Stealthing als nicht-einvernehmliche sexuelle Handlung beschrieben werden kann: als eigene sexuelle Handlung, die von vorhergehenden oder nachfolgenden Handlungen, darunter auch geschützter Geschlechtsverkehr, zu unterscheiden ist und einen eigenständigen Konsens verlangt, oder als Täuschung – und in diesem Licht prüfen, inwieweit Stealthing nach österreichischer Rechtslage strafbar ist.

Schweizer Beispiel

In der Schweiz wurde im Mai 2017 bereits ein Mann wegen des heimlichen Entfernens des Kondoms nach einem Delikt gegen die sexuelle Freiheit verurteilt. Der Täter wurde in Lausanne in erster Instanz wegen Art 190 Schweizerisches Strafgesetzbuch Vergewaltigung, in zweiter Instanz wegen Art 191 Schändung verurteilt. Vergewaltigung bedarf in der Schweiz einer Nötigung, Gewalt oder Druck. Das Ausnutzen der Urteils- und Widerstandsunfähigkeit fällt nicht darunter, hier greift der Tatbestand der Schändung. Das Waadtländer Kantonsgericht beurteilte das heimliche Entfernen des Kondoms als eben solche Ausnutzung: Der Täter wusste, dass das Opfer ungeschütztem Verkehr nicht zugestimmt hatte und hat bewusst die Möglichkeit zu erneutem Widerspruch umgangen. Am Strafmaß von zwölf Monaten bedingt wurde festgehalten. Vergewaltigung und Schändung unterscheiden sich außerdem dadurch, dass erstere nach dem Schweizer Gesetzeswortlaut nur durch Beischlaf an einer "Person weiblichen Geschlechts" begangen werden kann, während der Tatbestand der Schändung geschlechtsneutral gefasst ist und auch "beischlafähnliche Handlungen" umfasst. Der Strafrahmen ist sehr ähnlich.

Situation in Österreich

Auch in Österreich gibt es bekanntlich verschiedene Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung; mit der Strafrechtsreform 2015 sind weitere hinzugetreten. Eine der neueren Bestimmungen könnte auch Stealthing umfassen: § 205a Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung. Vergewaltigung verlangt auch im österreichischen Strafgesetzbuch Gewalt, Freiheitsentziehung oder Drohung, während der Beischlaf oder eine gleichzusetzende Handlung gegen den Willen des Gegenübers § 205a erfüllt. Dieses Delikt ist, wie seit 1989 auch die Vergewaltigung, auf Opfer- wie auf Täterseite geschlechtsneutral formuliert. Angesichts des äußerst frauenfeindlichen Tons in Internetforen sowie der Opferberichte von Frauen und schwulen Männern ist es (geschlechter-)politisch wichtig, Stealthing auch als "Männergewalt" zu thematisieren.

Fehlende Einwilligung

Das Abstellen auf den sexuellen Konsens, stellt eine Anpassung an die Verpflichtungen der Istanbul-Konvention und den Stand der internationalen Debatte zu sexueller Gewalt dar. Genau um die fehlende Einwilligung geht es auch bei Stealthing – das Opfer hat nicht in ungeschützten Verkehr eingewilligt. Neben der Gefahr ungewollter Schwangerschaft und/oder sexuell übertragbarer Krankheiten ist es diese Grenzüberschreitung, die den Unrechtsgehalt der Tat darstellt. Brodsky hat in ihrer Studie herausgearbeitet, dass viele der betroffenen Personen – in ihrem Fall allesamt Frauen – sich als Opfer fühlten, aber unsicher waren, ob Begriffe wie "Übergriff" oder "Vergewaltigung" zutreffen. Offensichtlich stellt sich auch die Frage der Beweisbarkeit, was in Fällen sexueller Übergriffe ein häufiges Problem ist.

Sex im Konsens

Wie kann nun die nicht-konsensuale Entfernung des Kondoms als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gefasst werden? Wenn ausdrücklich oder konkludent vereinbart wurde, geschützten Geschlechtsverkehr zu haben, so muss man es wohl ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, gegen den Willen der anderen Person zu handeln, wenn man das Kondom heimlich entfernt. Der Geschlechtsverkehr hat mit beidseitigem Einverständnis begonnen – doch nur, weil man grundsätzlich ja zu Sex sagt, sagt man nicht ja zu jeder Praxis und allen Konsequenzen. Während die Umsetzung des "non-consensual" Merkmals gemäß Art 36 Istanbul-Konvention zu Meinungsverschiedenheiten darüber führte, ob ein Ja oder nur kein Nein vorliegen muss – in Österreich entschied man sich nach dem Begutachtungsverfahren für Zweiteres – ist man sich darüber einig, dass zum Zeitpunkt der sexuellen Handlung "die (wie auch immer im Einzelnen zu fassende) ’consent‘-Bedingung" vorliegen muss. Dabei steht jede sexuelle Handlung für sich; entfällt der Konsens, so sind danach erfolgende sexuelle Handlungen strafbar. Im Fall von Stealthing entfällt die Konsensbedingung bei Entfernung des Kondoms: "touch by a condom is fundamentally physically different from touch by the skin of a penis and thus each requires separate consent" (siehe Brodsky).

Täuschung und "Über-Kriminalisierung"

Brodsky verhandelt neben dem Lösungsweg der sexuellen Handlung auch den der Täuschung, wobei sie sogleich klarstellt, dass dieser ein Risiko der "Über-Kriminalisierung" beinhaltet ("a risk of over-criminalization by demanding complete transparency about reproductive capacity and sexually transmitted infections"). Ein Konsens liege nicht vor, weil man über das Risiko der sexuellen Handlung getäuscht wurde. Ob Information über sexuell übertragbare Krankheiten und/oder die eigene Un-/Fruchtbarkeit für jeden Sexualkontakt notwendig ist, ist zweifelhaft und nur in Kombination mit der Frage nach der Verhütung sowie nicht bei allen sexuellen Praktiken relevant. 16 § 178 StGB schützt vor der Gefährdung durch meldepflichtige Krankheiten, wobei unstrittig der "geschützte Verkehr einer HIV-Infizierten Person mit einer nicht infizierten Person als nicht tatbestandsmäßig" angesehen wird und auch ungeschützter Verkehr mit fortschreitenden Behandlungsmethoden fallweise zu beurteilen ist.

Die Frage nach der notwendigen Information über den Sexpartner oder die Sexpartnerin führt mitunter in Teufels Küche; man denke etwa an die Debatte darüber, ob Transpersonen sich im Vorfeld zu outen haben, was in Großbritannien im Zuge einiger Verurteilungen unter dem Schlagwort "Genderfraud" (Täuschung über die Geschlechtszugehörigkeit) diskutiert wird. Aber auch Versprechen über den Fortgang der Beziehung, Auskünfte über den eigenen Familienstand, über die Herkunft oder Religion können für Individuen relevante Information für den Konsens darstellen. Mögen manche Lügen noch so verwerflich sein, die diskriminierende Weltanschauung über die "wahre Identität" der Sexpartnerin erscheint wenig schützenswert. Die Frage, ob und wie solche Fälle auch (straf-)rechtlich relevant sind oder sein sollten, wird unter dem Schlagwort "rape by deception/fraud" diskutiert und ist nicht nur angesichts der ultima-ratio-Funktion des Strafrechts schwierig. Sie führt für diesen kurzen Text jedenfalls zu weit. Für die Erkenntnis, dass Stealthing eine Grenzüberschreitung darstellt, bedarf es ihrer Beantwortung auch nicht: Die Beurteilung von ungeschütztem Geschlechtsverkehr als eigenständige sexuelle Handlung, die eines eigenen Konsens bedarf, weist diese Praxis jedenfalls als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung aus. (Maria Sagmeister, 7.2.2018)