Gekommen, um zu wählen: Mehrere Tausend Nebenwohnsitzer wurden vor der niederösterreichischen Landtagswahl aus der Evidenz gestrichen. Manche erfuhren erst im Wahllokal davon.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

St. Pölten / Wien – Jan Pazourek erfuhr es erst im Wahllokal: Der Generaldirektor der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK) wollte bei der niederösterreichischen Landtagswahl am 28. Jänner von seinem Stimmrecht Gebrauch machen. Doch der 56-Jährige, der seit 14 Jahren einen Nebenwohnsitz in Katzelsdorf bei Wr. Neustadt hat, war aus der Wählerevidenz gestrichen worden.

Das Kuriose: Seine Frau durfte wählen. Und das, obwohl das Paar die gleichen Voraussetzungen mitbringt, erzählt er dem STANDARD. Dabei sei er im Ort durchaus bekannt, sagt Pazourek. Es sei allerdings auch bekannt, dass er nicht der ÖVP nahesteht, wenngleich er niemandem unterstellen wolle, dass das etwas mit der Streichung zu tun habe.

Seit dem vergangenen Jahr müssen Niederösterreichs Bürgermeister ja feststellen, ob Personen mit Nebenwohnsitz einen "ordentlichen" Wohnsitz haben und damit zur Wahl berechtigt sind. Dafür müssen die Ortschefs mittels Wählerevidenzblatt die Bindung der Bürger an die Gemeinde überprüfen. Kritik am vagen Gesetz und an der unterschiedlichen Auslegung durch die Gemeinden tat die zuständige Landesregierung unter anderem damit ab, dass aus dem Wählerverzeichnis gestrichene Nebenwohnsitzer ja Beschwerde einlegen könnten.

Verstrichene Frist

Doch Pazourek hatte diese Möglichkeit nicht: Er habe kein Schreiben bekommen, gegen das er Beschwerde hätte einlegen können. Das ist zwar gesetzlich vorgeschrieben, Konsequenzen für die Gemeinden gibt es aber nicht, wenn sie Personen das Wahlrecht entziehen, ohne sie darüber zu informieren. Den STANDARD erreichte von der Gemeinde Katzelsdorf bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme.

Von einem fast identischen Fall erzählt Herbert Hlozek, der ein Wochenendhaus in der Gemeinde Rußbach bewohnt: Der Bautechniker sieht sich als "gut integriert", unterstützt die Freiwillige Feuerwehr, ist Mitglied im Tennisverein. Doch auch er fiel aus der Liste der Wähler, ohne darüber informiert worden zu sein. Und auch seine Frau war wahlberechtigt, obwohl sie im Wählerevidenzblatt die gleichen Angaben wie er gemacht hatte. Bürgermeister Hermann Pöschl (ÖVP) kann sich das nicht erklären – er kennt Hlozek persönlich. Außerdem sei niemand gestrichen worden, der das Wählerevidenzblatt retourniert habe. "Da kann nur ein Fehler passiert sein", sagt Pöschl.

Nur ein Fall ging in die zweite Instanz

Hlozek wandte sich nach der Wahl an die zuständige Abteilung der Landesregierung, erhielt von dort aber keine Antwort und berichtete den Grünen von seinem Fall.

Über Beschwerden gegen die Wählerevidenz entscheidet in erster Instanz die Gemeinde – sofern die Gestrichenen darüber informiert wurden und die Beschwerde innerhalb der kurzen Frist einbringen. Sind die Betroffenen mit dem Beschluss nicht einverstanden, können sie vor das Landesverwaltungsgericht ziehen. Dort ist aber bis zur Wahl nur ein einziger Fall gelandet – und der betreffe die neue Regelung für Zweitwohnsitzer gar nicht. Damit argumentieren auch ÖVP-Politiker von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner abwärts, dass die Novelle nicht so schlecht sein könne.

Eine Anfrage um Stellungnahme an die Wahlabteilung der Landesregierung blieb am Mittwoch unbeantwortet.

350 gestrichen, 6 Einsprüche

Ein entsprechender STANDARD-Bericht vom Dienstag irritierte Martin Pichelhofer, grüner Stadtrat in Retz. Dort wurden im Vorfeld der Wahl 350 der insgesamt 850 Nebenwohnsitzer gestrichen. Sechs Beschwerden seien deswegen eingelangt, heißt es aus der Stadtgemeinde – alle seien wieder in die Evidenz aufgenommen worden.

Pichelhofer allerdings war "mit weit mehr als zehn Personen in Retz in persönlichem Kontakt, die gestrichen wurden und mir gesagt haben, dass sie Einspruch dagegen erheben werden, oder von denen ich weiß, dass sie Einspruch erhoben haben".

Fälle wie diese sind einer der Gründe, warum die niederösterreichischen Grünen überlegen, die Landtagswahl anzufechten: Das Gesetz sei "ein Schildbürgerstreich", sagt Landesparteichefin Helga Krismer. Das Selbstverständnis der Grünen als Kontrollpartei betreffe auch die Wahl selbst. Die Frist für eine Anfechtung läuft bis Ende Februar. (Sebastian Fellner, 8.2.2018)