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So sieht's im Inneren des Darms aus: Besucher wandern am Krebs-Aktionstag des Diakonieklinikums Hamburg durch einen 20 Meter langen Riesendarm.

Foto: Getty Images / Joern Pollex

Wien – Ab dem 50. Lebensjahr, zumindest alle zehn Jahre einmal zur Vorsorge-Darmspiegelung gehen: So lautet der medizinische Rat zur Verhinderung oder Früherkennung von Darmkrebs. Österreichweit werden jährlich rund 300.000 solcher Koloskopien durchgeführt, davon bei rund 40.000 Wiener Patienten.

Jetzt sehen sich zahlreiche Wiener Chirurgen mit hohen finanziellen Rückforderungen von der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) konfrontiert. Deren Vorwurf lautet kurz gefasst: Die Ärzte hätten nicht nur die eigentliche Dickdarmspiegelung (Koloskopie), sondern gleich auch eine Enddarmspiegelung (Rektoskopie) mit der Kasse verrechnet. Der Fachgruppenobmann der Wiener Chirurgen, Anton Weiser, widerspricht: "Die Möglichkeit der Abrechnung von Koloskopie und Rektoskopie geht auf eine mündliche Vereinbarung mit der Wiener Gebietskrankenkasse zurück, die zehn Jahre alt ist."

Jährlich 5.000 Darmkrebserkrankungen

Zum Hintergrund: In Österreich wird jedes Jahr bei rund 5.000 Menschen die Diagnose Darmkrebs gestellt. Es gibt rund 2.500 Todesfälle. Durch die wohl genaueste Krebs-Vorsorgeuntersuchung – die Darmspiegelung – könnten die meisten Erkrankungen verhindert oder im Frühstadium geheilt werden. Laut Chirurgen-Fachgruppenobmann Weiser gehen nur 16 Prozent der für die Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchung infrage kommenden Personen auch tatsächlich zum Arzt. Ein von Ärzten seit vielen Jahren gefordertes österreichweites Koloskopie-Programm fehle.

Sollte der Streit mit der Gebietskrankenkasse eskalieren, spekuliert Weiser mit drastischen Konsequenzen: "Die Gebietskrankenkasse fordert von niedergelassenen Chirurgen hohe Honorarsummen für bis zu drei Jahre zurück. Wenn das durchgeht, müssen wir wohl unsere Kassenverträge zurücklegen." Laut seinen Angaben sind auf diesem Gebiet in der Bundeshauptstadt 34 Chirurgen und 15 Internisten (Gastroenterologen), zehn davon mit Kassenvertrag, tätig.

"Ungereimtheiten"

"Die Koloskopie wird seit vielen Jahren auf Kassenkosten durchgeführt und hat auch funktioniert", erklärt WGKK-Generaldirektor Andreas Obermaier. Nach dem Bekanntwerden von "Ungereimtheiten" bei der Abrechnung und von den Chirurgen verlangten Zuzahlungen durch die Patienten "haben wir uns das näher angeschaut." .

Die WGKK wurde laut ihren Angaben fündig. Laut Obermaier hätten die Chirurgen für die Sedierung mit dem offenbar am besten dafür geeigneten Mittel (Propofol) bis zu 60 bis 120 Euro verlangt. Was aber bei einigen der Chirurgen noch hinzu gekommen wäre: Verrechnet wurden nicht nur die eigentliche Dickdarmuntersuchung mit dem Koloskop, sondern zusätzlich auch eine Enddarm-Spiegelung (Rektoskopie). Weiters wären zu viele zusätzliche Regiebeiträge mit der Krankenkasse abgerechnet worden.

Obermaier vergleicht das mit einem Bahnticket: "Wenn ich eine Fahrkarte bis nach Salzburg kaufe, ist die Fahrt bis nach St. Pölten bereits inbegriffen." Es sei also undenkbar, wenn einfach mehr Teilleistungen verrechnet würden.

Ärztevertreter Weise verweist nicht nur auf die mündliche Abmachung, sondern argumentiert auch mit der Frage nach der Finanzierbarkeit: "Für eine normale im Verdachtsfall vom Arzt verordnete Koloskopie plus Rektoskopie kann ich der Wiener Gebietskrankenkasse insgesamt rund 207 Euro verrechnen. Dazu kommen noch fünf Euro für eine intravenöse Injektion und zehn Euro für den Befundbericht. Wir haben drei unabhängige betriebswirtschaftliche Gutachten, mit einer Kostenkalkulation von etwa 380 Euro für eine Koloskopie. Fällt die Verrechnungsmöglichkeit der Rektoskopie weg, sind das allein schon um 33,50 Euro weniger."

Neun Kassen, neun unterschiedliche Honorare

Die Finanzierungssituation bei den Koloskopien über die Kassenhonorare ist in Österreich extrem kompliziert und könnte als weiteres gutes Beispiel für die vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger unter Alexander Biach in Gang gebrachte Vereinheitlichung von Leistungspositionen der Krankenkassen dienen. Es gibt unterschiedliche Detailregelungen und Kassenhonorare bezüglich diagnostischer und Vorsorge-Darmspiegelungen. Jede der neun Gebietskrankenkassen hat mit den Fachärzten andere Honorare ausgemacht. Auch die bundesweiten "kleinen" Kassen haben teilweise unterschiedliche Tarife.

Gleichzeitig sei der technische Aufwand laut Chirurg Weiser bei ordnungsgemäßer State-of-the-Art-Abwicklung der Koloskopien in der Praxis hoch: "Ich habe 14 Endoskope zu je 46.000 Euro Kosten. Eine einzige der drei Endoskop-Waschmaschinen kostet inklusive Servicevertrag 55.000 Euro." Die Validierung der Systeme habe Aufwendungen von 40.000 Euro beansprucht.

Hinzu kommen im Fall der Praxis von Weiser alle zwei Jahre 8.500 Euro für die Überprüfung der Endoskop-Waschmaschinen und der Sterilisatoren. Das müsse irgendwie mit den Tarifen der Krankenkasse auch refinanziert werden. In Wien sei wegen der schlechten Situation bereits zu bemerken, dass zum Beispiel Privatspitäler, die früher Koloskopien vorgenommen hätten, diesen Service für Kassenpatienten eingestellt hätten. Insgesamt sei auch die Zahl der Fachärzte insgesamt (Chirurgen und Gastroenterologen), welche in Wien die Darmspiegelungen durchführten, zurückgegangen.

"Umwegfinanzierung"

"In Deutschland hat man die betriebswirtschaftlichen Kosten für eine Koloskopie mit bis zu 500 Euro berechnet", heißt es bei den österreichischen Fachärzten. Damit sei klar, dass die Koloskopie auf Kassenkosten in Österreich nur über 'Umwegfinanzierung' machbar sei. Das ist offenbar auch der Hintergrund für die Rektoskopie-Koloskopie-Untersuchung bei den Wiener Chirurgen. Regiezuschläge für die Endoskop-Waschmaschinen, Fallpauschalen, Tarife für die Befunderstellung etc., Honorar für den Facharztbesuch, für Befundbrieferstellung und das ärztliche Gespräch machten für den Arzt eine Gesamtsumme aus, mit der die betriebswirtschaftlichen Ausgaben plus das Arzthonorar zu finanzieren seien.

Weiser nannte dazu ein Beispiel: "Wenn in Wien ein Patient bei der Untersuchung zu entfernende Darmpolypen (Vorstufen zu Karzinomen; Anm.) aufweist, zahlt die Wiener Gebietskrankenkasse für deren Entfernung 87,10 Euro – und zwar egal, wie viele Darmpolypen entfernt werden. In Oberösterreich werden pro entferntem Darmpolypen 120 Euro bezahlt." In Wien komme man mit dem Tarif nicht einmal auf die Materialkosten.

Narkosemittel

Ein besonders Kapitel ist die bei der Koloskopie zum Stand einer modernen Patientenbetreuung gehörende medikamentöse Sedierung. Laut Weiser hätte es dafür auf Kassenkosten ursprünglich bloß ein altes Mittel mit einer Halbwertszeit von 2,5 Stunden gegeben, was die Patienten eben entsprechend lange benebelt hätte. Laut WGKK-Generaldirektor Andreas Obermaier hätten die Ärzte für die Sedierung mit dem extrem kurz wirksamen Propofol danach 60 bis 120 Euro zusätzlich von den Patienten verlangt: "Wir wollen keine privaten Zuzahlungen." Man stelle jetzt das Propofol als Ordinationsbedarf zur Verfügung.

Die Frage der Sedierung der Patienten trifft sowohl die Wiener Chirurgen als auch die auf dem Gebiet der Koloskopie tätigen Gastroenterologen. Auch hier sei der Aufwand hoch, wird bei den Fachärzten betont. Für die Leistung der Sedierung dürfte man nur elf Euro verrechnen, sagte Weiser. Benötigt werden dazu aber ein Ruheraum und Extra-Personal für die Überwachung.

Juristische Konsequenzen

Wie es auf diesem Gebiet in Wien weitergeht, ist derzeit ungeklärt. Juristisch gab es bereits eine Dienstaufsichtsbeschwerde, Unterlassungsklagen und das Anrufen der zuständigen Schiedskommission. WGKK-Generaldirektor Andreas Obermaier betonte, nicht alle Chirurgen seien gleichermaßen betroffen, doch: "Es laufen zehn Verfahren." Die rückgeforderten Honorarsummen seien zum Teil erheblich. Das Schiedsverfahren werde wohl einen Teil der offenen Fragen klären. "Und dazu gibt es in Wien die allgemeinen Vertragsverhandlungen zwischen der Ärztekammer und der Wiener Gebietskrankenkasse", sagte Obermaier weiter. Möglicherweise könne man dabei Fortschritte erzielen.

Der Wiener Ärztekammer-Vizepräsident und Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart, der mit der WGKK in den Gesamtvertragsverhandlungen steckt, betonte gegenüber der APA das Interesse an einer Einigung. Es sei im Grunde nicht vertretbar, wenn eine spezifische medizinische Leistung durch den Arzt erst auf Umwegen finanziert werde. Zu hoffen sei, dass man aufseiten der Krankenkasse das Thema der Koloskopien erledigen wolle. (APA, red, 8.2.2018)