Soll die Stimmung auf Facebook Grundlage der Rechtssprechung werden? ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler wünscht sich dies.

Foto: FB

Postdemokratie ist nach dem britischen Politikwissenschafter und Soziologen Colin Crouch dadurch gekennzeichnet, dass die politischen Parteien an Akzeptanz verloren haben und eine Distanz der Bürger zum politischen Geschehen besteht.

Die politischen Eliten begegnen dieser Entwicklung mit Manipulation der öffentlichen Meinung und versuchen, eine dadurch erzeugte Stimmung für ihre Interessen einzuspannen. Sie verwenden eine aalglatte Sprache und bestimmen den politischen Diskurs dadurch, dass sie sich auf Themen beschränken, die sich besonders zur Emotionalisierung eignen.

Dabei handelt es sich regelmäßig um unwichtige Themen, die wichtigen bleiben verborgen. Die unwichtigen Themen werden gezielt medial aufgeblasen, erzeugen beim Bürger Angst, Verunsicherung und Wut; ist dieses Ziel erreicht, präsentieren sich politische Parteien als Retter.

Betrachtet man die von der ÖVP bestimmte Debatte der letzten Monate, so erweist sich diese geradezu als Lehrbuchbeispiel für Postdemokratie. Das beginnt damit, dass der Bundeskanzler Langzeitarbeitslose stets in Verbindung mit "Durchschummlern" nennt, diese würden mit Luxusautos durch die Gegend fahren.

Wie viele Langzeitarbeitslose sich tatsächlich durchschummeln und wie viele Langzeitarbeitslose Luxusautos fahren, bleibt natürlich unerörtert.

Das hat Methode. Denn das Ziel ist ja nicht die Wahrheit, sondern durch ständige Wiederholung die öffentliche Meinung zu schaffen, dass Langzeitarbeitslose Durchschummler sind. Dies gelingt dadurch, dass man Langzeitarbeitslose und Durchschummler stets in einem Atemzug nennt. Eine ehrliche Politik würde sich die Frage stellen, wie viele Langzeitarbeitslose tatsächlich "Durchschummler" sind, denn diese gehören sanktioniert.

Stimmungsmache statt Fakten

Darum geht es aber in unserer Postdemokratie nicht. Hier gilt es vielmehr, eine Stimmung gegen Langzeitarbeitslose zu erzeugen, um das eigentliche Ziel, eine Kürzung von Sozialleistungen an diese Gruppe, zu rechtfertigen. Hat man Langzeitarbeitslose erst einmal ausreichend konsequent in die "Schummelecke" gestellt, kann man für eine solche Maßnahme viel Zustimmung ernten.

Ein krasses Beispiel für diese Art von Politik ist die Debatte um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Abgesehen von Wolfgang Brandstetter hat sich bislang kein Experte gefunden, der eine solche Verschärfung positiv sieht. Weder Strafrechtsprofessoren noch Rechtsanwaltskammer noch Richtervereinigung noch Sozialarbeiter oder Psychiater noch Opferschutzverbände halten eine solche Reform für sinnvoll.

Davon völlig unbeirrt hat die Staatssekretärin Karoline Edtstadler am 5. Februar in der ZiB 2 und am 7. Februar in der Presse keine Zweifel daran gelassen, dass eine solche Verschärfung kommen wird. In schöner postdemokratischer Manier greift sie zur Technik der Manipulation: Sie stellt eine Strafe von sieben Jahren Haft für einen Einbrecher einer kurzen Strafe für Sexualtäter gegenüber; dies, obwohl das Opfer jahrelang oder lebenslänglich an den Folgen leidet.

Eine solche Gegenüberstellung ist nichts anderes als eine grobe Desinformation. Hat eine Vergewaltigung jahrelange oder lebenslängliche Qualen zur Folge, gibt es eine Mindeststrafe von fünf Jahren; die Höchststrafe reicht bis zu 20 Jahren. Die Frau Staatssekretärin will zwar eine Expertenkommission einrichten, hat aber schon klargestellt, dass die Verschärfung kommt. Schön, dass die Mitglieder dieser Kommission schon vorab erfahren, was am Ende herauszukommen hat.

Verstörend ist auch, dass sich die Frau Staatssekretärin auf das "natürliche Rechtsempfinden" beruft. Dieses "natürliche Rechtsempfinden", das die Staatssekretärin insbesondere aus Einträgen auf Facebook ablesen will, stehe mit den verhängten Strafen bei Sexualstraftaten in einem Missverhältnis.

Ein Blick auf Facebook zeige, dass die von Gerichten verhängten Strafen bei den Mitgliedern dieses vorgeblich sozialen Mediums sehr oft als völlig inadäquat betrachtet werden.

Hier ist zunächst interessant, dass die Staatssekretärin das natürliche Rechtsempfinden lieber aus Facebook als von Theoretikern und Praktikern des Strafrechts gewinnen will. Wenn diese erklären, eine Verschärfung des Strafrechts sei nicht notwendig, fehlt ihnen offenbar – im Gegensatz zu Facebook-Usern – das natürliche Rechtsempfinden. Es ist beängstigend, wenn eine Spitzenpolitikerin eine solche Meinung unverblümt vertritt.

Wenn wir in Zukunft in diesem Land Facebook als Richtlinie für die künftige Gesetzgebung akzeptieren und die Meinung von Experten vom Tisch wischen, so ist das genau das Gegenteil einer aufgeklärten Gesellschaft.

Eine solche ist freilich viel schwieriger zu regieren als eine Facebook-Gemeinde. Eine aufgeklärte Gesellschaft verlangt nämlich eine rationale Erklärung für politisches Handeln und sucht die kritische Auseinandersetzung. Diese politische Auseinandersetzung zu führen ist freilich nur einer politischen Elite möglich, die über Sachkenntnis verfügt und auf festen weltanschaulichen Prinzipien steht.

Der unrühmliche Zwilling

Noch ein kleiner Nachtrag. Mit der Berufung auf das "natürliche Rechtsempfinden" als Richtlinien für die Gesetzgebung sollte man vorsichtig sein. Das "natürliche Rechtsempfinden" hat als Zwillingsschwester das "gesunde Volksempfinden". Unter Berufung auf dieses wurden in der Vergangenheit abscheuliche Verbrechen begründet. (Heinz Mayer, 9.2.2018)