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Zwei Wahlsieger der jüngeren Vergangenheit: Mark Rutte, der von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz zu Neujahr nach Österreich eingeladen wurde.

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"Ich bin der Partei nicht beigetreten, um aus dem Schatten heraus zu brüllen. Ich wollte zeigen, dass wir in der Lage sind, gute Minister abzugeben." Timo Soini, Gründer der Wahren Finnen

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"Der Bürger Rafael Correa ist ein Gegner mehr. Mehr auch nicht." Ecuadors Präsident Lenín Moreno über seinen politischen Ziehvater

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Nicht zuletzt wegen Donald Trump wurde 2017 zum "Jahr der Populisten" auserkoren.

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Kaum waren die ersten Wahlergebnisse öffentlich geworden, bauten die internationalen Journalisten ihre Kameras und Laptops schon wieder ab. So jedenfalls ist es in Berichten niederländischer Zeitungen zu lesen, die im vergangenen März mit Verwunderung über die Reaktion ihrer Kollegen aus aller Welt schrieben.

Grund für die Enttäuschung war ein Ereignis, das in vielen europäischen Hauptstädten für Aufatmen gesorgt hatte: der überraschend deutliche Sieg der liberalen Partei von Premier Mark Rutte gegen seine Herausforderer, die Rechtspopulisten von Geert Wilders.

Es war der Beginn eines Jahres, in dem europaweit Siege rechts- und linkspopulistischer Gruppen prognostiziert worden waren, meist entgegen allen Umfragedaten. Übrig blieben am Ende allenfalls Achtungserfolge – und eine Regierungsbeteiligung in Österreich.

Das jedenfalls ist die gängige Lehrmeinung.

Erfolgreiche Wahltaktik

Wahlsieger Rutte würde das anders sehen. Er wurde nicht müde, seine eigene Wahlstrategie als "guten Populismus" zu verkaufen – als eine Form der Wahltaktik, mit der man den "schlechten Populisten" entgegentreten könne und die es Parteien und Kandidaten erlaube, auch im gegenwärtigen, aufgeheizten Klima verantwortungsvolle Politik mit Wahlerfolgen zu kombinieren.

Ähnliches wurde später über Sebastian Kurz berichtet, auch wenn er es selbst wohl so nicht formulieren würde – und auch für die CSU gilt Derartiges seit Jahrzehnten. Sie hat es im Spruch verewigt, dass rechts von ihr kein Platz für eine weitere Partei sein dürfe.

Die Idee eines "guten Populismus" hat vor allem seither viel Zulauf gewonnen – und ist doch politikwissenschaftlich sehr umstritten. Das Label "Populismus" ist in der Regel eine Fremdbezeichnung, wobei der Terminus selten positiv konnotiert ist.

"Populist" hat sich zum meistens recht undifferenzierten Kampfbegriff entwickelt, der vorwiegend jene trifft, die nicht in der Regierung sitzen. Bedeutet das aber im Umkehrschluss, dass ein einmal als Populist gebrandmarkter Politiker nicht verantwortungsvoll arbeiten kann?

"Echte" und andere Rechte

Der niederländische Politologe Cas Mudde hat Zweifel an der Vereinbarkeit von Populismus und Verantwortung. Er hat sich ausgiebig mit Extremismus und Populismus befasst und widerspricht der Idee des "guten Populisten". Nach den Wahlen in den Niederlanden und in Österreich hat Mudde in Manifesten vor dem Begriff gewarnt.

Er argumentiert auf der Plattform "Voxeurop" und im "Guardian" damit, dass es sich bei dem, was Rutte und Kurz machen, keineswegs um "gute" Politikformen handle, mit denen man "echten" Rechten das Wasser abgraben könne. Vielmehr würden sie einfach das Programm ihrer Gegner übernehmen – und dann in der Regierung durch konkrete Handlungen der Stimmung, an deren Schaffung sie selbst beteiligt waren, Rechnung tragen müssen.

Allerdings bleibt Mudde in seinen Ausführungen meist theoretisch. Dabei bieten viele Länder der Welt mittlerweile Anschauungsmaterial dazu, wie sich Populisten in Regierungsverantwortung verhalten – und auch dazu, ob und wie "guter Populismus" möglich sein kann.

"Populistischer Gürtel"

2016 war immerhin jenes Jahr, das vielen Populisten ihre größten Erfolge bescherte und sie oft in Regierungsämter spülte: Die Amerikaner wählten den erratischen Quereinsteiger Donald Trump zum Präsidenten, die Briten bugsierten ihr Land nach einem emotional höchst aufgeladenen Wahlkampf aus der EU.

Der Schock über diese Ereignisse saß so tief, dass auch 2017 zum "Jahr der Populisten" erkoren wurde, noch ehe es angefangen hatte. Und auch wenn der Durchmarsch, der ihnen bei den Wahlen in den Niederlanden, in Österreich und in Frankreich prophezeit wurde, dann so nicht stattfand: Wer Europa derzeit vom Baltikum bis hin zur Ägäis durchquert, passiert inzwischen ausschließlich Länder, in denen Populisten zumindest Teile einer Koalition bilden.

Ein "populistischer Gürtel" durchzieht ganz Zentraleuropa, hält das vom britischen Ex-Premier Tony Blair ins Leben gerufene Institute for Global Change fest. Dieses kommt in einem aktuellen Bericht zum Schluss, dass populistische Parteien in Europa seit dem Jahr 2000 einen langsamen, aber steten Aufstieg hingelegt haben. Der Anteil ihrer Wähler sei seither von zehn Prozent auf 25 angestiegen, konstatieren drei Autoren, darunter der Harvard-Populismusforscher Yascha Mounk. Ein Ende dieser Welle sehen sie nicht nahen.

Volk versus Eliten

Die Zahl der Regierungen, an denen Populisten beteiligt sind, hat sich demnach verdoppelt: von sieben auf 14. Wobei Populist nicht gleich Populist ist. Während der Politologe Mudde Populismus vor allem am rechten Rand verortet, wählt das Blair-Institut einen weitergehenden Begriff: Populismus, so die Institution auf ihrer Homepage, könne man "überall am politischen Spektrum" finden. Es gehe nur um eine Haltung, die die Welt in Gut und Böse unterteile, die sich allein als legitim und andere als illegitim sehe und die "den Willen des Volkes" jenem "der Eliten" entgegensetze.

In diesem Sinne stellt das Institut fest: Während Populisten im Osten, Westen und Norden auf der rechten Seite zu verorten sind, dominieren im südlichen Europa jene linken Schlags. Welche Erfolge diese einfahren können, zeigt sich dieser Tage in Italien. Am 4. März stehen dort Parlamentswahlen an, und wenn es nach den Umfragen geht, dann gehen aus diesen die Fünf Sterne als stärkste Einzelpartei hervor.

Bewegung ohne Ideologie

Der Movimento Cinque Stelle (M5S) verpasste sich den Zusatz "Bewegung", noch ehe der Begriff im Rest Europas zur Mode wurde: Die Partei, die bis heute keine sein will, entstand 2009, als der Starkabarettist Beppe Grillo sein Konzept der wutentbrannten Polemik gegen das Polit-Establishment von der TV-Bühne auf jene der Politik brachte. 2013 trat die Gruppe, die sich betont weder rechts noch links gab, erstmals bei Parlamentswahlen in Italien an und errang auf Anhieb ein Viertel aller Stimmen. Seither zogen die Fünf Sterne in eine Reihe von Kommunen und Regionen ein – mit höchst unterschiedlichen Bilanzen.

In Rom gab ihre Bürgermeisterin Virginia Raggi eine derart katastrophale Performance ab, dass die im Dezember vor dem Capitol aufgestellte und rasch abgestorbene Weihnachtsfichte als Symbol ihres Misserfolgs herhalten musste. In Parma hingegen vollzog sich ein kleines Wunder: zum einen, weil Federico Pizzarotti, Mitbegründer der Fünf Sterne, 2012 dort in ihrem bis dahin größten Erfolg als unbekannter Quereinsteiger zum Stadtchef aufstieg, zum anderen, weil Pizzarotti es kurz darauf wagte, dem allmächtigen Chef entgegenzutreten.

"Die Realpolitik hat mich eingeholt", sagte er, entschied in grundlegenden Fragen anders als Grillo und wurde dafür aus der Partei geschmissen. Doch Pizzarotti senkte die Schulden der Stadt um knapp die Hälfte, machte Parma zu einer der wichtigsten Smart Cities Italiens und sich zum beliebtesten Bürgermeister des Landes.

Im Juni 2017 belohnten die Parmigiani den Parteilosen mit einer zweiten Amtszeit. Das Ankommen an der Macht fällt leichter aus als das Festhalten daran, das machte Finnland vor. 2011 stiegen die Wahren Finnen erstmals in den Kreis der großen Parteien auf. 2015 holte die national-konservative Partei, die sich inzwischen nur noch Die Finnen nannte, Platz zwei, was ihr erstmals einen Platz in der Regierung bescherte.

Das Dilemma der "Finnen"

Doch schon bald trat das Dilemma ein, in das früher oder später jede populistische Kraft gerät, wenn sie einmal an der Macht ist: Ihre extremen Positionen und die neue Rolle ließen sich nicht mehr vereinbaren. Als Protestpolitiker hatte der Finnen-Chef Timo Soini "finnische Werte" propagiert, war für eine restriktive Einwanderungspolitik sowie gegen die Rettungspakete Griechenlands aufgetreten. Als Regierungspartner trug er sowohl das dritte Hilfsprogramm für Athen als auch die Kompromisse in der EU-Migrationspolitik mit.

Für den Regierungspartner entpuppte sich Soini als durchaus annehmbarer Partner. Die eigene Partei aber, deren Gründer und Aushängeschild Soini fast 20 Jahre lang gewesen war, tobte. Im Juni 2017 kürten Die Finnen Jussi Halla-aho zu ihrem neuen Chef: Er forderte einen schärferen EU-Kurs, mehr "Finnland-zuerst-Mentalität" und überhaupt wieder mehr Kanten.

Außenminister Soini umschiffte nur knapp eine Regierungskrise, da seine Koalitionspartner mit Halla-aho, der bereits wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, nicht zusammenarbeiten wollten. So blieb Soini gemeinsam mit vier Ministern und einem Rumpf an Abgeordneten zurück, die sich zur Blauen Zukunft zusammenschlossen.

Wer bisher schon die These vertreten hatte, dass der effektivste Weg, Populisten zu besiegen, darin bestehe, sie an die Macht zu lassen, sah sich durch das Implodieren der "Finnen" bestätigt. Für Populisten aus anderen Ländern dient das finnische Beispiel als Abschreckung.

Soinis Blaue Zukunft liegt in Umfragen bei gerade einmal einem Prozent, die "Finnen" unter ihrem neuen Chef bei acht. Den Sinkflug in den Umfragen spielt Soini herunter. Der Politikwissenschafter, der seine Magisterarbeit über Populismus verfasst hat, verweist auf die Nachbarn in Norwegen, wo es der populistischen Fortschrittspartei nach ihrem Einstieg in die Regierung ähnlich ergangen war. Nach einem temporären Rückgang in den Umfragewerten konnten sie dennoch bei den Wahlen im vergangenen September ihren Platz in der Regierung halten.

Abseits von Europa

Der Hang zum "guten Populismus" ist dabei kein europäisches Phänomen. Schon vor 15 Jahren haben populistische Wahlkämpfer andernorts Applaus bekommen, wenn sie als pragmatische Regierungschefs agierten – selbst dann, wenn es nur zeitweilig so war. In den 2000ern etwa galten die erleichterten Anfeuerungsrufe noch dem damals demokratisch regierenden gemäßigten Islamisten Tayyip Erdogan an der Spitze der türkischen Regierung, der sich später allerdings nicht mehr als "guter" Populist zeigte.

Auch Brasiliens linker Präsident Lula da Silva bekam Zustimmung. Er agierte als Vertreter der weit links stehenden Arbeiterpartei bei der Einführung seiner Sozialpolitik tatsächlich äußerst umsichtig. Derzeit nimmt ein anderer diese Stellung ein: Ecuadors Präsident Lenín Moreno. Er hat in seinem ersten Amtsjahr seit April bewiesen, dass er einen eigenen, demokratischeren Weg gehen will als sein Vorgänger und früherer Parteichef Rafael Correa.

Der 64-Jährige hat bisher unter anderem seinen Vizepräsidenten Jorge Glas entmachtet und wegen Korruption anklagen lassen. Zudem hat er mehrere autoritäre Gesetze seines Vorgängers zurückgenommen.

Anfang Februar folgte dann der nächste Streich: Die Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer stimmten in einem Referendum darüber ab, die Beschränkung auf zwei Amtszeiten, die Correa abschaffen ließ, wiedereinzuführen. Damit ist dem Expräsidenten der Weg zurück vorerst verbaut oder zumindest deutlich erschwert. Geholfen hat, dass Moreno sich hoher Beliebtheitswerte erfreut – laut Umfragen bis zu 70 Prozent.

Linker Populismus

Doch auch Linke wandeln beim Versuch, sich als "gute Populisten" zu erweisen, auf einem schmalen Grat. Dass dieser noch dazu rutschig sein kann, beweisen seit ihrem Regierungsantritt im Jänner 2015 Griechenlands Premier Alexis Tsipras und dessen Sammelbewegung Syriza.

Sie hatten sich in der Opposition jahrelang mit Slogans und Zielvorgaben profiliert, die in das Schema des Populismus passen: für "das griechische Volk und dessen Würde", gegen die Vorgaben der europäischen "Eliten". In Regierungsverantwortung gekommen, schloss Tsipras dann noch dazu ein Bündnis mit einer weiteren populistischen Partei, den rechtsnationalistischen Unabhängigen Griechen von Panos Kammenos. Monatelang mobilisierte die Regierung beim Nein-Referendum die Griechen gegen die Vorgaben der Troika – um dann, wenige Tage später, doch zuzustimmen und gleich danach bei Neuwahlen klar zu gewinnen.

Seither ist Tsipras zumindest in den Augen des Brüsseler Mainstreams ein Beispiel für jenen Typus, den auch der Niederländer Rutte in seiner Heimat gerne verkörpern würde – wenn auch am anderen Rand des politischen Spektrums: ein "guter Populist" eben, der die Zustimmung der Wähler mit harten Parolen an sich zieht und dann doch Politik macht, wie man sie auch in der EU als vernünftig erachtet.

Einbußen, aber kein Absturz

Den totalen Absturz, den andere Populisten erleben mussten, hat Griechenlands Premier bislang nicht erlebt. Die Syriza liegt nach einem Durchhänger im vergangenen Sommer in Umfragen wieder bei rund 25 Prozent.

Allerdings: Die linke Sammelbewegung befindet sich damit nicht nur rund zehn Prozentpunkte hinter ihrem Ergebnis vom Sommer 2015, sondern sogar noch weiter hinter den Werten der konservativen Nea Dimokratia. Letztere könnte bei einem Urnengang – der nächste muss spätestens im Herbst 2019 stattfinden – womöglich sogar die absolute Mandatsmehrheit zurückerlangen. Womöglich hat Tsipras mit seinem speziellen Weg in die Mitte trotz der Verluste gezeigt, wie "gute Populisten" ihre Partei im politischen Spektrum halten können. (Manuel Escher, Anna Giulia Fink, 10.2.2018)