Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung im Skiverband, vertuschte Pädophilie an einer Skihauptschule, entwürdigende Unterwerfungsrituale als Alltag in den renommiertesten Skiinternaten des Landes: Die Menge an Vorwürfen, die in den vergangenen drei Monaten über den österreichischen Skisport hereingebrochen sind, ist erschütternd. Das Nationalheiligtum hat mehr als nur Kratzer abbekommen, es sind tiefe Schnittwunden. Zumal Experten davon ausgehen, dass die gravierendsten Fälle von Missbrauch gar nicht erst aufgedeckt werden.

Als die ehemalige Weltcupläuferin Nicola Werdenigg das Thema im November aufs Tapet brachte, waren die Folgewirkungen noch nicht absehbar. Doch die unbedachte Reaktion des Österreichischen Skiverbandes in Form einer Klagsandrohung brachte die Mauer des jahrzehntelangen Schweigens endgültig zum Einsturz. Betroffene fühlten sich durch Beschwichtigungen verhöhnt, wollten sich nicht länger den Mund verbieten lassen.

Im Gegenzug kehrte im ÖSV geradezu gespenstische Stille ein. Das Skiinternat in Stams, einst das große Aushängeschild, kennt der Verband nur noch vom Hörensagen, Jahrhundertsportler Toni Sailer hat man bestenfalls zufällig getroffen. Die eigene Geschichte verkommt im einst so traditionsbewussten Verband plötzlich zur unliebsamen Fußnote. Alles ist gut, solange Marcel Hirscher gewinnt.

Die nun in der Süddeutschen Zeitung von zwei ehemaligen Skirennläuferinnen erhobenen Vorwürfe der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung gegen die Trainerlegende Karl Kahr lassen den Skiverband endgültig verstummen. Kein Wort des Bedauerns, das große Schweigen als Stilmittel. Der ÖSV verweist auf PR-Beraterin Heidi Glück und Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic. Irgendwo zwischen Kitzbühel und Pyeongchang müssen sogar die Stehsätze verlorengegangen sein. (Philip Bauer, 9.2.2018)