Das öffentliche Vergabewesen ist in Österreich durch das anhaltende Versäumnis des Gesetzgebers bei der Umsetzung von EU-Richtlinien noch komplexer geworden.

Foto: Getty Images / iStock / Creativeye99

Wien – Im April 2014 wurde mit den Vergaberichtlinien (insbesondere RL 2014/24/EU) eine umfassende Neuerung des europäischen Vergaberechts beschlossen, die vom österreichischen Gesetzgeber innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen gewesen wäre. Im Rahmen kleinerer Novellen zum Bundesvergabegesetz ist dies bisher nur zaghaft erfolgt.

Zum überwiegenden Teil sind die Vergaberichtlinien noch gar nicht umgesetzt. Dass die Europäische Kommission dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Rahmen des dazu anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens die Verhängung von Zwangsgeldern in Höhe von täglich rund 138.000 Euro vorgeschlagen hat, sollte die Sache eigentlich beschleunigen.

Bis dahin befinden sich Vergaberechtspraktiker in der fallweise nicht unkomplizierten Situation, dass seit Ablauf der Umsetzungsfrist neben dem bisherigen Regime des Bundesvergabegesetzes die EU-Vergaberichtlinien beachtet werden müssen.

Die öffentliche Hand ist also bei der Gestaltung von Ausschreibungen angehalten, das Bundesvergabegesetz im Sinne der Vergaberichtlinien auszulegen, um so allfällige Differenzen des nationalen Rechts durch eine unionsrechtskonforme Auslegung zu beheben.

Existiert zwischen den Richtlinien und der Absicht des österreichischen Gesetzgebers ein Widerspruch, der sich nicht durch Auslegung beheben lässt, dann muss geprüft werden, ob die jeweiligen Bestimmungen der Vergaberichtlinien nicht direkt wirksam sein können.

Insbesondere die durch die Vergaberichtlinien erweiterten Ausnahmetatbestände vom Vergaberecht sind durch eine zuletzt ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) verstärkt ins Licht gerückt. In seiner Entscheidung zum "Wiener Weihnachtstraum" (Ro 2017/04/0005) – eine GmbH der Stadt Wien hat einen Auftrag von einer Einrichtung der Stadt Wien erhalten – stellt der VwGH klar, dass die bisher nur in der neuen Vergaberichtlinie vorgesehene "horizontale" In-House-Vergabe, die eben eine solche "Schwesternvergabe" vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausnimmt, auch im österreichischen Vergaberecht gelten und das Bundesvergabegesetz insoweit nicht anwendbar sein soll.

Komplexität durch VwGH

Der VwGH eröffnet durch seine Interpretationsweise offensichtlich die Möglichkeit, neue europarechtliche Vorgaben und Entwicklungen in den Begriff des Auftragswesens einzubeziehen, und verdeutlicht damit einmal mehr die Relevanz für öffentliche Auftraggeber, die europarechtlichen Grundlagen vor Ausschreibungen genau zu prüfen. So könnten im Sinne der VwGH-Entscheidung wohl auch weitere in den Vergaberichtlinien vorgesehene Ausnahmen vor ihrer Umsetzung im österreichischen Recht maßgeblich sein. Dies betrifft beispielsweise neben der genannten "horizontalen" In-House-Vergabe auch die neuen "Spielarten" der "Inverse"- oder "Bottom up"-Vergabe der Tochter- an die Muttergesellschaft oder mittelbare In-House-Aufträge bzw. die (vertragliche) interkommunale Kooperation.

Neben allfälligen Erleichterungen bei der Gestaltung von Ausschreibungen führen die Auslegungs- und Anwendungsvorgaben jedoch auch dazu, dass beispielsweise bei der – bisher grundsätzlich mehr oder weniger freihändigen – Vergabe von Dienstleistungskonzessionen die entsprechende Konzessionsrichtlinie (2014/23/EU) zugrunde zu legen sein wird. Dass die Vergaberichtlinien teilweise gänzlich neue Auftrags- und Vergabeverfahrensarten vorschreiben, bringt weitere Herausforderungen bei der Strukturierung von Vergaben.

Anhaltender Verzug

Die "Einzelfallprüfung" der Vergaberichtlinien und des Bundesvergabegesetzes bleibt durch den anhaltenden Verzug des Gesetzgebers also weiterhin nicht erspart. Bis zur Umsetzung der Vergaberichtlinien ist das Bundesvergabegesetz im Kollisionsfall – sofern ein solcher überhaupt erkannt wird – unter Berücksichtigung der Vergaberichtlinien auszulegen oder bei deren direkter Anwendbarkeit unangewendet zu lassen.

Die Entscheidung des VwGH zur Auslegung des Begriffes des "öffentlichen Auftragswesens bringt insofern auch eine neue Komplexität in die Vergaberechtspraxis. Eine gewisse Unsicherheit wird meist bis zum "rechtskräftigen" Abschluss eines Vergabeverfahrens oder aber einer gerichtlichen Entscheidung bleiben.

Der derzeitige "Schwebezustand" im Vergabewesen sollte daher im Interesse aller Beteiligten möglichst rasch beendet werden – durch eine rasche und vollständige Umsetzung der EU-Richtlinien. (Rudolf Pekar, 12.2.2018)