Peter Nagele (46), geboren in Ried im Innkreis, studierte Medizin in Innsbruck und absolvierte die Facharztausbildung am Wiener AKH.

Foto: Washington University

Die Republik Österreich feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Ist das ausschließlich ein Grund zum Feiern? Welche Gefühle verbindet man mit der Heimat? Die STANDARD-Wissenschaftsredaktion stellt im Ausland tätigen Forschern und Forscherinnen in diesem Jahr drei Fragen, um mehr über ihre Perspektive auf das Jubiläum zu erfahren. Was beschäftigt sie beim Blick von außen, zwischen Distanz, Stolz und Wünschen für die Zukunft? Den Anfang macht der Anästhesist Peter Nagele.

Er tritt Anfang März seinen neuen Job als Chef der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Universität Chicago an. Bisher war er an der Washington University School of Medicine in St. Louis tätig. Nagele ging mit einem Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF in die USA. Er hat unter anderem herausgefunden, dass gewisse Biomarker Herzinfarkte nach Operationen vorhersagen können. Weitere Teile der Serie "Drei Fragen" lesen Sie in loser Folge an dieser Stelle.

STANDARD: 100 Jahre Republik Österreich. Was bedeutet das für einen im Ausland lebenden Österreicher?

Nagele: Als Österreicher nimmt man es selbstverständlich wahr; in den USA selbst spielen die Gründung der Ersten Republik und der Erste Weltkrieg aber generell eine unbedeutende Nebenrolle. Die Zeitgeschichte wird nach wie vor vom Zweiten Weltkrieg und der "greatest generation" dominiert. 100 Jahre Republik Österreich – welche Gedanken gehen mir persönlich durch den Kopf, wenn ich an das Jubiläum denke? Einerseits ein ungemeiner Stolz, dass wir es trotz der Irrungen und Wirrungen nach der Auflösung der Habsburgmonarchie, der unrühmlichen Zwischenkriegszeit und dem Grauen des Zweiten Weltkriegs geschafft haben, eines der schönsten, reichsten und stabilsten Länder zu werden. Andererseits empfinde ich eine Art von Wehmut nach dem, was vor 100 Jahren zu Ende gegangen ist. Nicht nach der erzkonservativen bürokratisierten Monarchie Kakaniens, sondern nach dem einzigartigen Wien der Jahrhundertwende. Ein Wien, das dieses einmalige jüdisch geprägte Amalgam von Kunst und Wissenschaft erschaffen hat, das in dieser Form weder vorher noch nachher existiert hat.

STANDARD: Ist Österreich als Ort des Wissens über die eigenen Grenzen hinaus bekannt?

Nagele: Man macht oft den Fehler, nur die rezentesten Ergebnisse als relevant zu erachten. Hier lohnt es sich wirklich, in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückzublicken. Österreich war eine wissenschaftliche Großmacht. Sei es in der Physik, die mit Wolfgang Pauli, Erwin Schrödinger, Viktor Hess, Ernst Mach, um nur einige wenige zu nennen, Wissenschafter von Weltruf hervorgebracht hat, oder auch in der Medizin, die als Zweite Wiener Medizinische Schule den Fortschritt in den medizinischen Wissenschaften weltweit entscheidend beeinflusst hat. Die Entdeckung der Blutgruppen durch Karl Landsteiner und die Entwicklung der Psychoanalyse durch Siegmund Freud sind gute Beispiele. Wenn ich die rezenten Leistungen bewerten darf, dann beeindrucken mich die Leistungen der österreichischen Physik sehr. Begeistert bin ich von den Entdeckungen, die die österreichischen Archäologen im In- und Ausland machen. Seien es neue Funde aus der Wiener Stadtarchäologie, Ephesos, der Keltensiedlungen am Dürrnberg oder Hallstatt.

STANDARD: Was wünschen Sie sich für Österreich für die Zukunft?

Nagele: Als Auslandsösterreicher: gutes Gedeihen, stabile Verhältnisse und Frieden im Land. Als Forscher, auch wenn hier ein bisschen freche Utopie durchklingt: eine Verdopplung des Budgets für den Wissenschaftsfonds FWF, eine langfristige stabile qualitätsorientierte Förderung der Unis und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, eine Entbürokratisierung der Universitäten, vermehrte Bereitschaft zur Philanthropie, weiter konsequente Internationalisierung und vor allem mehr Zaster. Viel mehr Zaster. (Peter Illetschko, 14.2.2018)