Die Familienbeihilfe soll künftig nicht für alle gleich hoch sein.

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Wien – Das Projekt war von Anfang an wild umstritten. Die türkis-blaue Regierung will die Familienbeihilfe für Kinder, die im Ausland leben an das dortige Preisniveau indexieren. In der Regel bedeutet das eine Kürzung, weil besonders viele Kinder in Osteuropa betroffen wären.

Diverse Europarechtler haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass das Projekt, welches ÖVP-Chef Sebastian Kurz schon in der letzten Regierung propagierte, dort aber nicht gegen die SPÖ durchbrachte, mit Unionsrecht unvereinbar sei.

"Tragender Grundsatz des Unionsrechts"

Auch in den Stellungnahmen zum Gesetzestext, der bis Freitag in Begutachtung war, gab es zahlreiche kritische Stellungnahmen. Neben ÖGB und Arbeiterkammer schrieb beispielsweise auch Volksanwältin Gertrude Brinek, eine Parteikollegin von Kurz, der Entwurf sei mit "unionsrechtlichen Vorgaben schwerlich zu vereinbaren". Denn: "Der Export von Sozialversicherungs- und Familienleistungen ist ein tragender Grundsatz des Unionsrechts."

Wie der republikseigene Verfassungsdienst die Causa aus verfassungsrechtlicher Sicht einschätzt, erfährt die interessierte Öffentlichkeit allerdings nicht wirklich. Zwar hat der Verfassungsdienst, der unter Türkis-Blau vom Kanzleramt ins Justizministerium transferiert wurde, eine sechsseitige Stellungnahme abgegeben. Darin wird aber weitgehend nur auf formalistische Fragen eingegangen. Zum Abschnitt "Verhältnis zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union" wird nur ganz allgemein darauf hingewiesen, dass diese "spezifischere Aussagen" enthalten sollten.

Wer ist zuständig?

Die entscheidende Frage, wie der Verfassungsdienst selbst den Entwurf einschätzt, wird nicht konkret angesprochen. Im Justizministerium erklärte eine Sprecherin von Minister Josef Moser zunächst, dass für allgemeine EU-Rechtsangelegenheiten jener Teil des Verfassungsdienstes zuständig sei, der im Kanzleramt verblieben ist.

Ansprechpartner sei also Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP). Von dort gibt es allerdings gar keine Stellungnahme zum Entwurf. Denn, wie eine Sprecherin erklärt: Das Familienministerium, das den Entwurf erarbeitet hat, gehöre laut Geschäftseinteilung zum Kanzleramt. Und es sei "absolut unüblich", dass ein Ressort einen eigenen Vorschlag kommentiere.

Rückzieher

Einige Stunden später erklärte das Justizministerium dann dem STANDARD: alles ein Missverständnis. Für verfassungsrechtliche Fragen sei schon das Justizministerium zuständig. Warum die Stellungnahme dann nicht konkreter ausfiel? Man habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass man "möglichen europarechtlichen Bedenken mit einer besseren Begründung" begegnen könnte, heißt es. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen.

In Justizkreisen wird aber noch eine andere Variante erzählt: Der Verfassungsdienst habe bereits unter Kurz-Vorgänger Christian Kern klar festgehalten, dass eine Indexierung der Familienbeihilfe auf nationalem Weg ein klarer Verstoß gegen EU-Recht wäre. Folglich hätte er nun, einige Monate später, schwerlich zu einer anderen Einschätzung kommen können. In der Deutlichkeit wollte man das aber nicht offiziell festhalten.

Die ÖVP berief sich bei ihrer Einschätzung stets auf ein Gutachten von Wolfgang Mazal, einem Arbeitsrechtsexperten. Die EU-Kommission ließ hingegen schon mehrfach wissen, dass aus ihrer Sicht auf nationaler Ebene kein Alleingang in Sachen Indexierung möglich sei. Auch im EU-Parlament wurde bereits eine Initiative gegen Österreich gestartet. (Günther Oswald, 16.2.2018)