Die Individualkommunikation setzte in den letzten Jahren zu einer Renaissance im digitalen Raum an: Besonders seit 2012 wuchs der Informationsaustausch über Messenger-Apps, die sich vornehmlich auf eine Zwei-Personen-Kommunikation konzentrieren. Mobile Dienste wie Snapchat und WhatsApp wuchsen beträchtlich und Facebook gliederte 2014 seinen eigenen Messenger als App aus. Mit der Vorstellung von Facebook Spaces auf der letztjährigen F8-Konferenz will Facebook dieses Feature auch in den Bereich VR übertragen:

GameSpot

Allein für den Messenger-Dienst WhatsApp wurde am Beispiel übertragener Fotos ein Wachstum vom unteren Millionenbereich im Jahr 2012 auf 394 Millionen 2013 und dann 703 Millionen im Jahr 2014 verzeichnet. Mitte Juli 2017 hat das Unternehmen bekanntgegeben, dass täglich 4,5 Milliarden Fotos geteilt werden und das bei einer Nutzerzahl von einer Milliarde pro Tag. Dies geht einher mit einem gewaltigen Zustrom neuer Nutzer, mehr Interaktion und einem erhöhten Informationsaustausch.

Wie funktioniert Online-Kommunikation? 

Der bekannte Sprachwissenschaftler Paul Watzlawick formulierte in seinen Axiomen, dass menschliche Kommunikation digital oder analog ablaufen könne – mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen. Kommunikation kann nur gelingen, wenn die Kommunikationspartner das Kommunikat – also den Inhalt der Kommunikation – identisch interpretieren. Kommunikation misslingt also, wenn die Partner zu unterschiedlichen Interpretationen gelangen.

"Gelingende Kommunikation ist ein unwahrscheinlicher und voraussetzungsreicher Prozess", meint Kommunikationswissenschafter Klaus Beck und interpretiert damit eine Aussage Watzlawicks. Aus persönlicher Erfahrung möchte ich zwar fast behaupten, dass eine echte Kommunikation zwischen Menschen ohnehin nie stattfindet, da man bei zwei Personen schnell auf drei Meinungen kommt, doch tatsächlich ist der Mensch als kommunikatives Wesen erstaunlich erfolgreich. Das gilt auch im Internet. Doch wie funktioniert eigentlich Kommunikation im Internet?

Kommunikation zwischen Einzelnen und Gruppen im Internet

Als Individualkommunikation bezeichnet man den kommunikativen Informationsaustausch zwischen zwei Einzelpersonen, während die Gruppenkommunikation denselben Ansatz zwischen Personengruppen verfolgt. Beiden Formen ist gemeinsam, dass sich die Kommunikationspartner gegenseitig kennen. Dies grenzt sowohl Individual- als auch Gruppenkommunikation von der Massenkommunikation ab. Bei der Individualkommunikation tauschen sich alle Gruppenmitglieder gegenseitig aus und sind gleichberechtigte Gesprächspartner.

Im digitalen Raum haben sich Individual- und Gruppenkommunikation unterschiedlich ausgeprägt: Der aktuelle Stand der Gruppenkommunikation hängt stark von der Definition einer Gruppe ab. Sämtliche Kontakte eines Facebook-Nutzers könnten als Gruppe zählen. Doch definiert sich eine Gruppe nach Beck als eine

"Reihe von Personen, die in einer bestimmten Zeitspanne häufig miteinander Umgang haben und deren Anzahl so gering ist, daß jede Person mit allen anderen Personen in Verbindung treten kann, und zwar nicht nur mittelbar über andere Menschen, sondern von Angesicht zu Angesicht."

Wie funktioniert Kommunikation im Web überhaupt?
Foto: REUTERS/Dado Ruvic/File Photo

Bei Nutzern mit mehreren tausend Freunden ist der Übergang von der Gruppe zur Masse sehr fließend. Eine Gruppe kennzeichnet gerade der Aspekt der Nicht-Öffentlichkeit, wie er bei vielen Messenger-Diensten gegeben ist, bei denen Nachrichten nur an einen ausgewählten Kreis von Adressaten gerichtet sind. Doch aufgrund von Sharing-Funktionen oder anderen technischen Veröffentlichungsmöglichkeiten lässt sich bei digitalen Diensten häufig schwer eine klare Grenze zwischen Gruppen- und Massenkommunikation ziehen.

Bei digitaler Kommunikation entfällt zwar der oben erwähnte Aspekt der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, doch darf mit einer mehr oder weniger regelmäßigen exklusiven und dialogisch ausgerichteten Interaktion ersetzt werden.Wichtig für eine Gruppe ist auch, dass sie sich durch ein Wir-Gefühl von anderen abgrenzt. Gruppentypisch ist ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder – eine Ähnlichkeit, die auch auf Online-Communitys zutrifft.

Sowohl Individual- als auch Gruppenkommunikation zielt aber vornehmlich auf persönliche Bekanntschaft und einen gewissen Grad an Intimität ab. Für die Kommunikation einer Unternehmensmarke ist dies jedoch unerheblich beziehungsweise sehr schwer zu realisieren. 

Online-Community als neue Form der Kommunikation?

In der klassischen Kommunikationswissenschaft gilt die Face-to-Face-Kommunikation als ideal und beispielhaft. Es wird häufig auch bezweifelt, dass sich bei einer reinen Online-Kommunikation eine wirkliche Gruppe bilden könne. Zwar wird akzeptiert, dass sich Gruppenmitglieder bei ihrer Kommunikation auch verschiedener Medien bedienen können. Doch ob, so Beck, "es auch zu einer Bildung von Gruppen allein auf der Basis technisch-vermittelter Kommunikation kommen kann, ist hingegen umstritten."

Gleichzeitig sollte bedacht werden, dass Gruppen sich vor allem über einen emotionalen Zusammenhalt definieren und emotionale Bindungen vornehmlich über gemeinsame Erfahrungen geknüpft werden. Diese Erfahrungen basieren auf einem gemeinsamen Austausch, der auch über technische Medien stattfinden kann. Hier bietet eine Community sogar tendenzielle Vorteile gegenüber einer klassischen Gruppe, die ab einer bestimmten Größe organisatorisch nicht mehr funktioniert, da die Kommunikationspartner anonym werden.

Bei einer Community verhält sich die Dynamik nicht typisch zur klassischen Gruppen- oder Massenbildung. Sie kann mehr mit einem selbstregulierenden Schwarm verglichen werden. Ein Einzelner kann sich als Mitglied der gesamten Community fühlen, ohne die gesamte Community kennen zu müssen. Aufgrund seiner reinen Zugehörigkeit zur Community steht es dem Nutzer jederzeit offen, neue Kontakte mit noch unbekannten Mitgliedern herzustellen.

Wikipedia-Community: Die perfekte Gruppen-Kommunikation?

Ein gutes Beispiel stellt die Online-Enzyklopädie Wikipedia dar. Die Mitglieder nennen sich selbst Wikipedianer und die Gruppenzugehörigkeit zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie zur Enzyklopädie beitragen, indem sie Artikel verfassen oder editieren. Mit Gründung der Wikipedia 2001 gab es noch keine organisatorischen Strukturen. Diese wurden durch Diskussion und im Lauf der Jahre geschaffen. Hier wirkt eine interessante Mischung aus basisdemokratischer und meritokratischer Praxis zusammen. Alle stimmen ab und die verdienstvollsten Mitglieder – eben jene mit den meisten Meriten – werden in Chef-Posten gewählt. Hier geht es um die Leistung.

Die Nominierung eines Artikels zum Artikel des Monats oder einer ähnlichen Auszeichnung bedarf lediglich eines Mitglieds, das diesen Artikel nominiert und einer unbestimmten Anzahl anderer Mitglieder, die die Nominierung – meist mit kurzer Begründung – unterstützen. Diskutativ und basisdemokratisch wird dann eine Entscheidung getroffen, die infolge von den Administratoren der Wikipedia umgesetzt wird. Ein Administrator wird wiederum auf dieselbe Weise bestimmt, nachdem sich ein normales Mitglied durch herausragende Leistungen hervorgetan hat. Hier spielt die Meritokratie hinein.

Die Wikipedia organisiert sich, basierend auf diesen kommunikativen Prinzipien selbst, wobei potenziell alle Mitglieder miteinander kommunizieren und Entscheidungen fällen können.

Community: Das digitale Zwitterwesen in der Kommunikation

Bis zur Digitalisierung stellte die Isolierung von Gruppen ein großes Problem dar. Vergleichbar mit voneinander abgeschotteten indigenen Völkern konnten sich Gruppen bilden, die dieselben Tätigkeiten verfolgten, aber nie etwas voneinander wussten. Auf Communitys trifft dies nicht zu. Das Internet ist ein offenes Netz, das Inhalte und Wissen verbindet, so dass die abgeschotteten Communitys durch zunehmende Vernetzung zwangsweise voneinander erfahren. Tatsächlich ist häufiger zu beobachten, dass viele kleine Communitys sich zu einem größeren Verbund zusammenschließen, um gemeinsam besser die vorhandenen Ressourcen wie Webspace oder Personal nutzen zu können. Hier sind deutliche Parallelen zur Evolutionsbiologie und Psychologie zu erkennen.

Communitys stellen in ihrem Kommunikationsverhalten eine Zwischenform aus Gruppen- und Massenkommunikation dar. Damit sind sie typisch für die Kommunikation im Internet, wo viele, früher getrennte Universen miteinander verknüpft werden. (Christian Allner, 28.2.2018)

Literaturhinweis

  • Beck, Klaus: Kommunikationswissenschaft. Konstanz: Verlag UVK 2013. Reihe: UTB Basics.

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