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Autokorso in Berlin nach der Enthaftung Deniz Yücels.

Foto: AP/Paul Zinken

Den schwärzesten Tag der Pressefreiheit nannte "Reporter ohne Grenzen" den vergangenen Freitag. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel war zwar nach einem Jahr Untersuchungshaft freigelassen worden. Sechs andere Kollegen jedoch wurden am selben Tag zu verschärfter, lebenslanger Haft verurteilt. Absurd?

Was unterschied Yücel von den anderen festgenommen Journalisten in der Türkei? Neben der türkischen besitzt er auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Er hat also einen starken politischen Player hinter sich, einen wichtigen Handelspartner und Rüstungslieferanten der Türkei. Yücel wolle keine politische Geisel sein, betonte er immer wieder. Er war natürlich doch eine.

Doch der Reihe nach. Freitagvormittag trifft der US-Außenminister Tillerson mit dem türkischen Präsidenten Erdogan zusammen. Zur Verbesserung der beidseitigen Beziehungen – auch als NATO-Partner -, nachdem im Zuge des gemeinsamen Konfliktes rund um Syrien Erdogan den USA eine "osmanische Ohrfeige" angedroht hatte, sollten sich US-Soldaten zwischen die Front zwischen türkischen und kurdischen Truppen stellen.

Was die osmanischen Ohrfeige bedeutet

Die osmanische Ohrfeige findet sich übrigens auch in heutiger Kampfsport-Rhetorik wieder. Sie bedeutet einen bisweilen sogar vernichtenden Schlag mit offener Hand in das Gesicht des Gegners. Osmanische Soldaten übten diese Ohrfeige aus, wenn sie weder Dolche noch Schusswaffen mehr hatten und perfektionierten diesen Schlag wiederum zu einer tödlichen Waffe. Das Ende des Osmanischen Reiches konnten jedoch auch diese Spezialeinheiten nicht aufhalten. Dennoch spielt der türkische Präsident nun gern mit dem Gedanken, ein Sultan zu sein.

Fast zeitgleich mit der Aussprache mit dem amerikanischen Außenminister wird bekannt, dass Deniz Yücel nach einjähriger Untersuchungshaft entlassen wurde. Erdogans Türkei zeigt kurzfristig ihr menschenfreundliches Gesicht. Yücel verlässt das Gefängnis, wird von seiner Frau umarmt, fährt kurz in seine Istanbuler Wohnung und verlässt dann die Türkei in einer von Freunden bestellten Chartermaschine. Das Ziel ist Berlin. Der Regie Erdogans folgend wird er jedoch noch am selben Tag in Istanbul zu 18 Monaten Gefängnis wegen politischer Propaganda verurteilt. In Abwesenheit.

In Berlin ist der Jubel groß. In einem Autokorso feiern seine Freunde, Freundinnen, Helfer und Helferinnen überschwänglich seine Freilassung. Die Tageszeitung "Die Welt" hat ihren Korrespondenten wieder und jubelt ebenfalls.

Journalisten-Urteile

In Istanbul selbst hingegen dauerte der Freudentaumel angesichts Yücels Entlassung aus der U-Haft kaum zwei Stunden lang. Dann wurden andere, extrem harte Journalisten-Urteile publik: so auch verschärfte, lebenslange Haft für die Journalistenbrüder Mehmet und Ahmet Altan und für die Journalistin Nasli Ilicak. Verschärfte Haft bedeutet Isolationszelle, maximal eine Stunde Ausgang im Gefängnishof und beschränkte Besuche seitens naher Verwandte.

Die Altan-Brüder sind 65 und 67 Jahre alt. Ahmet Altan war Gründer und Chefredakteur der mittlerweile geschlossenen Zeitung "Taraf" – zu deutsch Richtung -, sein Bruder Mehmet war Ökonomieprofessor und Mitbegründer der Zeitung. Nasli Ilicak ist 74 Jahre, eine der bekanntesten TV-Moderatorinnen und Kolumnistinnen des Landes. Einige Jahre hindurch war Nasli Ilicak auch Abgeordnete im türkischen Parlament.

Alle drei sind für ihre Seriosität bekannt und gelten als die renommiertesten Journalisten des Landes. Ihnen wird die Beteiligung an dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 vorgeworfen. Alle drei sollen auch Verbindung zu dem Prediger Fethullah Gülen gehabt haben, der laut Erdogan Drahtzieher des Putsches war.

Wunsch des Präsidenten über dem Rechtsstaat

Ironie am Rande: der Entscheid des Verfassungsgerichtshofes, das Urteil gegen Mehmet Altan aufzuheben, wurde vom untergeordnetem Strafgericht schlicht und ergreifend ignoriert. Der Verfassungsgerichtshof hatte für die Freilassung von Mehmet Altan entschieden, weil die Zeit seiner Untersuchungshaft die zulässige Dauer überschritten hatte. Das war eine rein rechtsstaatliche Entscheidung. Dass er nun dennoch eine Gefängnisstrafe erhielt, noch dazu verschärft und lebenslang, spottet jeder Beschreibung. Der Wunsch des Präsidenten steht über rechtsstaatlichen Vorschriften. Wie zu den Zeiten osmanischer Sultane.

In Deutschland stellt der deutsche Außenminister allfällige politische oder wirtschaftliche Absprachen mit der Regierung in Ankara in Abrede. Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel dankt der Zivilgesellschaft für deren Engagement für Deniz Yücel. In Istanbul hingegen ist die Zivilgesellschaft angesichts der zahllosen Verhaftungen von Intellektuellen manchmal schon zu müde, um jedes Mal laut zu protestieren, schreibt ein türkischer Prozessbeobachter.

Ahmet Altans Tochter Sanem allerdings will beim Kassationsgericht Berufung einlegen. "So als gäbe es eine unabhängige Justiz". Sie werde alles tun, was für den juristischen Prozess erforderlich sei. "Denn wenn man sich später erinnert, müssen wir über alle Gesetzlosigkeiten Bescheid wissen", erklärte Senam Altan gegenüber der "Deutschen Welle" und zitiert abschließend ihren Vater: "Durch diese Urteile sind wir die bekanntesten Gefangenen der Welt geworden. Denn die Welt verfolgt diese Ungerechtigkeit, diesen Blödsinn aus der Nähe."

Lebenslange Haft, das bedeutet kein einziger freier Atemzug mehr. Am 9. März erwartet der renommierte Journalist Ahmet Sik in Istanbul sein Urteil. (Rubina Möhring, 18.2.2018)