Sigmar Gabriel war hervorragender Laune, als er sich im schwer bewachten Hotelcafé Empore in ein dickes Fauteuil plumpsen ließ. Der deutsche Außenminister konnte an diesem Wochenende im Bayerischen Hof vor die Kameras treten und die Details zur Freilassung des Journalisten Deniz Yücel erklären. Und er hatte eine gute – manche sagten die beste – Rede bei der Sicherheitskonferenz in München gehalten.

Ob der Berliner Chefdiplomat, der dieser Tage um sein Amt kämpfen muss, dabei nun sich selbst oder tatsächlich die "Weltpolitikfähigkeit" der Europäischen Union im Blick gehabt haben mag: Er traf die allgemeine Stimmung bei der Sicherheitskonferenz. Zumindest unter den europäischen Teilnehmern. Die Europäische Union, sagte er, sei als Friedensprojekt gegründet worden und nicht als Weltmacht. Allein: Als politischer "Vegetarier in einer Welt von Fleischfressern" werde sie es verdammt schwer haben. Übersetzt heißt das: Die Union muss sich endlich emanzipieren – außen- wie sicherheitspolitisch Steaks und nicht Tofu bestellen.

Erste Ansätze

Die weltpolitischen Schwierigkeiten, die in München gewälzt wurden, verlangen tatsächlich nach einer herzhafteren Unterlage. Genauso wie die streckenweise enervierte Stimmung auf der Konferenz und eine mit Händen zu greifende Einsicht: Europa muss sich sicherheitspolitisch selber um seine Angelegenheiten kümmern. Denn niemand anderer wird diese Aufgabe übernehmen, auch die Amerikaner nicht (mehr). Die Regierung Trump ist bereits damit überfordert, einen außenpolitischen Kurs zu halten, der den US-Interessen entspricht und den Eskapaden ihres sprunghaften Präsidenten standhält.

Erste Ansätze einer solchen europäischen Emanzipation gibt es bereits: Die "Permanente Strukturierte Zusammenarbeit" der EU-Streitkräfte soll die Union im militärischen Bereich schlagkräftiger machen. Die von Kommissionschef Jean-Claude Juncker in München einmal mehr angeschobene Debatte über ein Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip in Fragen der äußeren Angelegenheiten und jenen der Sicherheit soll es im politischen Bereich richten.

Daraus kann sich – ein dauerhafter politischer Wille vorausgesetzt – tatsächlich eine "europäische Machtprojektion" (wie es Gabriel im geopolitischen Jargon ausdrückte) in der Welt ergeben. Als Gegenstück etwa zur Neue-Seidenstraße-Politik, mit der die Chinesen neuerdings weit ins (ost-) europäische Kernland hineinwirken.

Nagelprobe Brexit

Als ein Indiz, dass sich diese neue Konzentration auf die eigene Rolle in der Weltpolitik materialisiert, können Optimisten etwa die Pläne für einen gemeinsamen, gesamteuropäischen Nachfolger des Eurofighter lesen. Die politische Nagelprobe dagegen wird sich während des und nach dem Brexit ergeben: Wer wird, wenn es denn endlich eine handlungsfähige deutsche Bundesregierung gibt, in der reformorientierten EU-Kerngruppe sein und wer nicht? Wer wird außen- und sicherheitspolitisch hinter dem Lenkrad sitzen, wer auf den hinteren Plätzen?

Nach dem, was Bundeskanzler Sebastian Kurz in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz angekündigt hat, soll Österreich trotz politischer Einschränkungen zweifellos zu den führenden Nationen gehören und den europäischen Zug in seiner Präsidentschaft auch lenken. Mit Sigmar Gabriel könnte man sagen: Wien will neutral bleiben, aber auch zu den Fleischfressern gehören. (Christoph Prantner, 18.2.2018)