Christian Petzolds "Transit" thematisiert Fluchterfahrung, verschweigt aber, in welcher Gegenwart man sich befindet.


Foto: Christian Schulz

Ein kleines Café in Paris. Draußen rasen Polizeistreifen vorbei. Zwei Männer treffen aufeinander, wechseln knappe, nervöse Sätze; von Fluchtwegen ist die Rede, von Briefen, die unter Gefahr überbracht werden sollen. Man einigt sich auf einen Deal. Ein Botendienst soll dem Mann die Passage aus dem Land ermöglichen.

Georg (Franz Rogowski) ist Deutscher in einer von Deutschen besetzten Stadt. Christian Petzolds Transit beginnt umstandslos und komprimiert wie ein B-Movie von Fritz Lang. In welcher Gegenwart man sich befindet, ist unklar, und das bleibt es bis zum Schluss. Petzold, der mit Phoenix zuletzt seine Variante eines Trümmerfilms realisiert hat, hat in seinem neuen Film einen raffinierten Kunstgriff gewählt: Er legt die Folie einer historischen Krise über eine ähnlich bewegte Jetztzeit.

Frei nach Anna Seghers' gleichnamigem Buch aktualisiert er mit diesem Manöver eine Fluchterfahrung und unterzieht zugleich ein ganzes Genre der Revision. Transit ist ein Film über das Warten im Geiste von Casablanca, direkt auf die Emigration aus dem Deutschland der 1930er gemünzt. Weil Petzold jedoch das Marseille der Gegenwart als Schauplatz nützt – und auch nordafrikanische Protagonisten einschleust – , wird die Geschichte zum offenen Feld. Ruhelose Geister der Vergangenheit finden sich mit ihren modernen Wiedergängern im selben Raum wieder.

Transit ist der bisher vielschichtigste Film im Wettbewerb der Berlinale. Das Drama in dieser bleiernen "Geschichtsstille" entfaltet sich über Georg, der – wie schon andere Helden Petzolds – ein Mann mit falscher Identität ist. In Marseille trifft er auf die mysteriöse Elisa (Paula Beer) und den Arzt Richard (Godehard Giese); beide ebenfalls Exilanten. Ein Dreieck, in dem man sich zwischen Liebe, dem Drang nach Freiheit und den Mühlen der Bürokratie verfängt. Rogowski verleiht seiner Figur mit geduckter Präsenz große Wirkkraft. Georg läuft in den Gassen Marseilles seinem Schicksal hinterher, erst der Offkommentar – noch so eine Konvention, der Petzold neues Leben einhaucht – verrät etwas über sein grüblerisches Innenleben. Der nüchterne Realismus, den der Regisseur bisher gepflegt hat, bleibt auch hier bestimmend. Doch eine gleichnishafte Anmutung, eine Idee von Bestimmung durchzieht ihn.

Transit hat deshalb etwas von einem modernen Film noir, in dem die Gegenwart sich nicht vom Schatten der Vergangenheit lösen kann. Die Hölle, heißt es einmal sinngemäß, ist ein Ort des ewigen Aufschubs.

Krise der Demokratie

Überhaupt kann man bei der Berlinale erleben, wie sich politisches Kino spielerischer Formen bemächtigt, um eine unübersichtliche Lage zu sondieren. Dokumentarisch geht etwa Marie Wilke der Frage nach, wie sich das diffuse Unbehagen an der Demokratie in der deutschen Bevölkerung artikuliert.

Aggregat ist in der ersten Hälfte ein Film über die Basisarbeit politischer Vermittlung. Man sieht Landpolitiker im Dialog mit dem Wahlvolk; schlaglichthaft veranschaulichen die Szenen, wie Ängste und Ressentiments nur im hartnäckigen Gespräch gelockert werden können. Der zweite Teil gilt der Arbeit der Medien, die im Umgang mit Rechtspopulismus auf die Zwänge ihrer jeweiligen Formate zurückgeworfen werden.

Ein Beitrag über einen afrikanischstämmigen Abgeordneten, der eigentlich Vorurteile abbauen will, wirkt durch seinen Fokus auf die Hautfarbe des Politikers eher ungeschickt. In der Auseinandersetzung mit einem Gegenüber, das Medien notorisch Parteinahme unterstellt, erweist sich differenzierte Berichterstattung als so notwendig wie schwierig.

Wilke liefert nüchtern Anschauungsmaterial, indem sie in Redaktionen blickt, ohne deren Arbeit zu werten. Sie entwirft eine Collage, bei der man sehen kann, dass bei der Anstrengung, den Medienkonsumenten zu erreichen, schon die Verzerrung beginnt. (Dominik Kamalzadeh, 18.2.2018)