Bild nicht mehr verfügbar.

Zahlreiche staatliche Stellen in Europa nutzen Microsoft-Software – und riskieren laut Kritikern damit hohe Abhängigkeit.

Foto: AP

Der Erpressungstrojaner "Wannacry" sorgte im vergangenen Jahr für einige Turbulenzen. Der Schädling befiel nicht nur die Rechner von Privatanwendern, sondern auch PCs von Ministerien, Unternehmen und öffentlichen Stellen. In Großbritannien mussten etwa manche Krankenhäuser zeitweise auf Notbetrieb umstellen, weil ihre IT-Systeme großteils lahmgelegt waren.

Was die hunderttausenden Betroffenen eint, ist die Plattform, die sie verwenden: Microsoft Windows. In ganz Europa setzen Regierungsorganisationen auf die Software des Redmonder Konzerns. Doch die Abhängigkeit von einem einzelnen Softwarehersteller kann schwer problematisch sein, zeigt die kürzlich ausgestrahlte ARD-Dokumentation "Das Microsoft-Dilemma", die online nachgesehen werden kann.

Hohe Abhängigkeit, schwere Umstellung

"Die Behörden sind de facto abhängig von Microsoft", erklärt darin Martin Schallbruch, der bis 2016 als IT-Direktor der deutschen Bundesregierung tätig war. Rechner ohne Windows sind eine Ausnahme, selbst im Serverbereich ist oft Windows an Bord. Dazu nutzen viele Stellen eigens für ihre Zwecke geschriebene Software, die ebenfalls für diese Plattform angepasst ist. Die Benutzer sind auch auf Office und Co geschult.

Selbst wenn man breitflächig umstellen wolle, wäre dies also alles andere als einfach. Schallbruchs Sorge: Durch die zunehmende Verlagerung von Anwendungen und Services in die Cloud würde die gegebene Abhängigkeit zunehmen und die staatliche Fähigkeit, seine eigene IT-Systeme zu steuern, weiter abnehmen.

Fragwürdige Ausschreibungen

Das Problem hat die Politik zwar scheinbar erkannt, doch bislang kaum bedeutende Gegenmaßnahmen gesetzt. Dass das Gegenmittel quelloffene Software, sprich: "Open Source" heißt, weiß man.

Erschwerend kommt hinzu, dass bei bei der eingesetzten Microsoft-Software und anderen Closed-Source-Programmen nicht nur der Quellcode nicht einsichtig ist, sondern auch kaum Transparenz über die Konditionen ihrer Verwendung herrscht. So habe etwa das deutsche Innenministerium eigentlich die Pflicht, derlei Verträge offen zu legen. Jedoch sind laut den Reportern "alle wesentlichen Stellen" – inklusive Kosten – geschwärzt, was das Ministerium mit vom Hersteller geltend gemachten Geschäftsinteressen begründet.

Ein moderner Linux-Desktop.
Foto: Screenshot

Gleichzeitig dürfen öffentliche Stellen ihre Software direkt von Händlern des Konzerns zu beziehen, was eigentlich einen Verstoß gegen EU-Recht darstellt, zumal ab einer gewissen Höhe an Ausgaben Ausschreibungen vorgenommen werden müssen. Diese gibt es zwar theoretisch, viele Stellen suchen aber aus Gewohnheit dezidiert nach Microsoft-Lösungen. Mathieu Paapst, Fachanwalt für IT-Recht an der Universität Groningen (Niederlande), sieht auch darin eine Verletzung europäischen Rechts. Gerechtfertigt wird das Verhalten von Staaten auch damit, dass es auch die EU-Kommission so mache. Dort verweist man auf "hohe Rabatte" und einen Mangel an Alternativen, da aufgrund der Anforderungen ohnehin nur Microsoft auf die Ausschreibungen reagieren würde.

Vorbildprojekt "Limux"

Alternativprojekte zeigen, dass es einen Ausweg gibt. Doch sie sind selten und oft nicht langlebig. Wiens Linux-Initiative "Wienux" ist nach wenigen Jahren versandet. In München begann man 2004 hoffnungsfroh mit "Limux" und stellte in den folgenden Jahren 80 Prozent der Rechner in der öffentlichen Verwaltung auf die gleichnamige, eigene Linux-Distribution um. Die Initiative galt lange als erfolgreich.

Dann wendete sich das Blatt. 2012 gelang es dem städtischen Wirtschaftsreferenten Dieter Reiter, Microsofts neues Deutschland-Hauptquartier nach München zu holen. 2014 wurde Reiter selbst zum Oberbürgermeister gewählt. Er attestierte Limux zahlreiche Probleme, besonders hinsichtlich seiner Benutzbarkeit und initiierte eine Rückkehr der Verwaltung zu Microsoft-Produkten. Reiter bestreitet, dass sein Vorgehen in Zusammenhang mit dem Umzug der Konzernzentrale in die bayrische Hauptstadt steht.

Während die Mitarbeiter mit Limux durchaus zufrieden gewesen sein sollen, krankte das Projekt an schlechtem Management, da man etwa Referatsleitern große Entscheidungsfreiheiten zugestand, so ein Gutachten, das Reiters Attest zur Verwendbarkeit widerlegt. Der damals verantwortliche IT-Chef sah jedenfalls kein "grundlegendes technisches Problem".

Mit Verwaltungsmitarbeitern durften die Journalisten nicht sprechen. Anonym berichtet ein Angestellter des Referates von "großer Enttäuschung". Seiner Ansicht nach ist Limux als Verhandlungsmasse einer politischen Entscheidung zum Opfer gefallen. Damit folgt er dem Narrativ, das auch die Oppositionsparteien vorbringen.

Heftige Kritik von ehemaligen Oberbürgermeister

Rund 90 Millionen wird laut vorläufiger Berechnung der Wechsel zurück zu Microsoft-Lösungen in der Umstellung kosten, Lizenzgebühren sind hier noch nicht einbezogen. Harsche Kritik gibt es hier von Reiters Amtsvorgänger Christian Ude, unter dessen Ägide die Linux-Initiative gelaufen war. "Das Dümmste, was man tun kann, ist erst viel Geld auszugeben für eine Lösung, um dann mit nochmal viel Geld umzusteigen auf eine andere", meint er.

Der ehemalige Bürgermeister Christian Ude.
Foto: APA

"Ich bin überrascht, dass wir die Unabhängigkeit, um die wir von vielen Städten im In- und Ausland beneidet wurden, jetzt nichts mehr wert sein soll und das Vertrauen einem Konzern geschenkt wird", der durch seine Marktstellung große Macht gegenüber den Behörden bekomme. Besonders in Sicherheitsbelangen sei Limux die bessere Wahl gewesen. Auch der Chaos Computer Club sieht Open Source als sicherer an und hält Microsoft-Systeme für "überkomplex". Man verweist auch auf die Zusammenarbeit von Konzerne und Geheimdiensten und verweist dabei auch auf die Enthüllungen von Edward Snowden.

Dubiose Weisung in Frankreich

Derweil gibt es in Italien mehrere Initiativen, sich von Microsoft zu lösen. Die Stadtverwaltung Roms hat den Umstieg von Windows zu Linux gestartet, die italienische Armee hat auf 30.000 Rechnern Microsofts Office-Suite mit dem freien LibreOffice ersetzt. In Vicenza setzt man in verschiedenen Bereichen auf Open Source und rüstet seit 2015 die PCs der Stadt auf die Linux-Distribution Zorin OS um (der STANDARD berichte). Ein Schritt, von dem man sich langfristig "beachtliche Ersparnisse" erwartet.

Die französische Gendarmerie hat bereits Office-Software und Betriebssysteme umgestellt. Hier stellt sich nun eine ähnliche Situation wie in München dar, berichten die Reporter. Sie konnte eine Anweisung aus dem Innenministerium einsehen, die einen Wechsel zurück zu Microsoft-Lösungen erzwingen soll.

Die NGO April, die sich für die Verwendung von Open Source einsetzt, wittert ebenfalls politische Hintergründe und erklärt, dass Microsoft-Mitarbeiter teilweise über staatliche E-Mail-Adressen verfügen und als Dienstleister angestellte Techniker somit leicht als Mitarbeiter der Verwaltung wahrgenommen werden könnten. Mehrfach soll es auch zu beruflichen Wechseln direkt vom Konzern in Ministerien und umgekehrt gekommen sein.

Zwischen Verteidigungsministerium und Microsoft gibt es außerdem einen langjährigen Vertrag, der ebenfalls nicht einsichtig ist. Dieser ist nun Gegenstand eines Untersuchungsausschusses. (gpi, 21.02.2018)