Die Regierungsspitze ist sich einig: Die Familienbeihilfe soll indexiert werden. Viele Experten sehen das kritisch.

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Wien – Die türkis-blaue Regierung hat sich vorgenommen, nach außen hin möglichst einheitlich aufzutreten. Streit soll der Vergangenheit angehören, ebenso offen ausgetragener Widerspruch. Mitunter treibt das Prinzip der "Message-Control" aber absurde Blüten. Offenbar sind nun auch kritische Experteneinschätzungen der Beamtenschaft unerwünscht, wie das Beispiel der Familienbeihilfe zeigt.

Wie berichtet, hätte die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gerne, dass für im Ausland lebende Kinder eine den dortigen Lebensumständen angepasste Familienbeihilfe ausbezahlt wird. Da in Österreich viele osteuropäische Arbeitskräfte tätig sind, würde das in aller Regel Kürzungen für diese Familien bedeuten. Unterm Strich will die Koalition 114 Millionen Euro pro Jahr einsparen.

Bedenken bei Beamten

Ein entsprechender Gesetzesentwurf war bis vergangenen Freitag in Begutachtung. Zu Wort gemeldet hat sich auch das Völkerrechtsbüro des Außenministeriums. Was die Beamten des früheren Kurz-Ressorts zu Protokoll gaben, war recht eindeutig. "Der vorliegende Gesetzesentwurf wirft aus europarechtlicher Sicht mehrere Fragen auf", heißt es etwa.

Konkret wird darauf verwiesen, dass der Europäische Gerichtshof das Bestreben, die Höhe der Familienleistung für Kinder mit Wohnsitz im Ausland anzupassen, bereits "mehrfach" abgelehnt habe. "Ferner stellen sich Fragen im Hinblick auf das primärrechtlich verankerte allgemeine Diskriminierungsverbot, das sich auch auf indirekte Diskriminierungen erstreckt." Zusammengefasst heißt das: Die früheren Mitarbeiter des Kanzlers – jetzt steht dem Haus die von der FPÖ nominierte Karin Kneissl vor – gehen davon aus, dass der Entwurf des Familienministeriums so nicht halten wird.

Plötzlich offline

Normalerweise werden alle Begutachtungsstellungnahmen auf der Parlamentshomepage veröffentlicht. Das ist ein Service, aber auch eine Form der Transparenz, damit jeder sehen kann, wer welche Änderungen vorschlägt. Die Expertise des Völkerrechtsbüros findet sich allerdings nicht mehr auf der Homepage. Das Außenamt hat nach STANDARD-Informationen darauf gedrängt, sie wieder runterzunehmen (über den Google-Webcache ist sie aber noch abrufbar).

Ein Parlamentssprecher bestätigte auf Anfrage den Sachverhalt. Man sei am Freitagnachmittag vom Außenamt informiert worden, "dass die Stellungnahme zurückgezogen wird, weil offenbar irrtümlich ein Entwurf übermittelt wurde". Aus technischen und organisatorischen Gründen sei sie dann zwar noch bis Montagfrüh online gewesen, dennoch handle es sich nun um "keine gültige Stellungnahme". Eine Sprecherin der Außenministerin erklärte auf Anfrage, die Einschätzung des Völkerrechtsbüros sei versehentlich zu früh abgeschickt worden, man habe um Fristverlängerung ersucht und arbeite an einer neuen Stellungnahme.

Heikle Fragen umschiffen

Nicht ganz genau wissen will die Regierung auch, wie der Verfassungsdienst der Republik den Entwurf bewertet. Diese Beamten haben die Aufgabe, alle Gesetzesentwürfe auf ihre Vereinbarkeit mit dem österreichischen Verfassungsrecht zu überprüfen. Früher war er im Kanzleramt angesiedelt, nun wurde er ins Justizressort von Josef Moser transferiert.

Wer die Stellungnahme des Verfassungsdienstes zum Familienbeihilfenentwurf durchliest, erfährt allerhand interessante Dinge. So wird angeregt, man möge doch "veraltete Ministerialbezeichnungen" vermeiden, auch fehlende Paragrafenzeichen wurden entdeckt. Nur die Frage, ob es möglicherweise ein europa- oder verfassungsrechtliches Problem gibt, wurde elegant umschifft – DER STANDARD berichtete.

Vor einem Jahr eindeutiger

Dabei hatte der Verfassungsdienst vor einem Jahr bereits eine eindeutige Expertise erstellt. Damals ging es um ein Gutachten des Arbeitsrechtlers Wolfgang Mazal, der für die ÖVP zu dem Schluss kam, eine Indexierung der Familienbeihilfe wäre durchaus rechtens. Kurz wollte sein Begehr schon damals durchbringen, konnte sich mit seinem Wunsch nach einer nationalstaatlichen Kürzung aber weder beim eigenen Parteichef Reinhold Mitterlehner, geschweige denn beim roten Kanzler Christian Kern durchsetzen.

Kern war es auch, der den Verfassungsdienst mit einer Bewertung des Mazal-Gutachtens beauftragte. Und in dieser – sie liegt dem STANDARD vor – heißt es: Österreich könne eben nicht einfach die Familienbeihilfe senken, damit weniger Geld ins Ausland fließt, denn: "Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung zu Familienleistungen von einem umfassenden Verständnis der Exportverpflichtung aus." Man könne also nicht die Höhe der Leistung vom Wohnsitz der Familienangehörigen abhängig machen; "auf diese Weise solle verhindert werden, dass Erwerbstätige davon abgehalten werden, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen", schrieb der Verfassungsdienst damals.

Schlechte Prozessaussichten

Daher erscheine es "fraglich, ob der EuGH der im Rechtsgutachten vertretenen Argumentation folgen würde". Und: "Die Prozessaussichten im Falle eines Vorabentscheidungsverfahrens beziehungsweise eines Vertragsverletzungsverfahrens werden daher eher als gering eingestuft." Mit anderen Worten: Österreich würde in Brüssel wohl abblitzen.

Überraschend kommt das alles nicht. Denn Mazal, auf dessen Studie sich auch aktuell das Familienministerium beruft, ist im Grunde bis heute der einzige Jurist, der der Meinung ist, die Indexierung wäre ohne Änderung des EU-Rechts möglich. Auch die EU-Kommission, heimische Völkerrechtler und selbst der Rechtsdienst des Deutschen Bundestages haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Indexierung nicht so einfach möglich ist. Bundespräsident Alexander Van der Bellen reihte sich am Montag bei einem Besuch des slowakischen Amtskollegen Andrej Kiska in die Reihe der Kritiker ein und warnte ebenfalls vor möglichen rechtlichen Problemen.

Alles gesagt

Dass die eigenen Beamten das kundtun, ist aber offenbar unter Türkis-Blau unerwünscht. DER STANDARD wollte vom Justizministerium wissen, warum die im Vorjahr geäußerten Bedenken des Verfassungsdienstes in dessen aktueller Begutachtungsstellungnahme keinen Niederschlag gefunden haben und ob eine klare Positionierung per Weisung unterbunden wurde. Eine Ressortsprecherin wollte darauf allerdings nicht näher eingehen. "Der Verfassungsdienst hat zu dieser Vorlage seine Stellungnahme abgegeben. Mehr gibt es von unserer Seite im Moment nicht zu sagen."

SPÖ-Familiensprecherin Ulrike Königsberger-Ludwig reagierte trotz der Erklärung verwundert über das Verschwinden der Stellungnahme. "Das ist schon ein bisschen eigenartig", kommentierte sie die Vorgehensweise gegenüber der APA. Offenbar werde Kritik am Regierungsvorhaben zurückgezogen – "das ist kein guter neuer Stil". Gespannt ist die SPÖ-Abgeordnete ob und in welcher Form die tatsächliche Stellungnahme des Völkerrechtsbüros veröffentlicht wird. (Günther Oswald, 20.2.2018)