Berlinale-Pressekonferenz zu "Utøya 22. Juli".

Berlinale - Berlin International Film Festival

Trailer zu "Aufbruch" von Ludwig Wüst.

Samuel Kaeppeli

"Museo": Mit einem Coup will sich Juan (Gael Garcia Bernal) beweisen, dass er keine Lusche ist.

Foto: Alejandra Carvajal

Eine kleine Kontroverse zwischendurch tut jedem Filmfestival gut. Deshalb werden auch gerne Filme im Wettbewerb platziert, die sich an Darstellungsgrenzen heranwagen, diese austesten. Oder auch: darüber hinaus schießen.

In Utøya 22. Juli hat der Norweger Erik Poppe das 2011 durch den Rechtsextremisten Anders Behring Breivik auf der Insel Utøya begangene Attentat rekonstruiert, bei dem 77 Menschen ermordet wurden, die meisten davon Jugendliche. Poppe sagte in der Pressekonferenz, er wolle seinen Film als Teil des Heilungsprozesses verstehen.

Meint er damit, dass man durch die Schreckensbilder hindurch muss, um am Ende daraus gereinigt hervorzugehen? Der Film lässt uns die Hetzjagd durch das Sommercamp und die angrenzenden Wälder nämlich ausschließlich aus der Opferperspektive erleben. Das Problem dabei ist, dass dieser Realismus wenig mit der Realität zu hat. Das Kino hinkt bei solchen Reenactments dem Eindruck des Wirklichen stets hinterher, und am Ende bleibt nur die Banalität des Sterbens zurück.

Absurdität zum Bild verfestigt

Einen Todesfall gibt es auch in Aufbruch, mit der Österreicher Ludwig Wüst erstmals auf die Berlinale geladen ist (Sektion Forum). Allerdings ereignet sich dieser zwischen den Bildern, in einem Moment, als die Kamera gerade einen Kreisschwenk vollführt: überraschend und ganz profan. Man muss den Tod als Zuschauer gar nicht direkt erleben, seine Absurdität verfestigt sich indirekt besser zum Bild.

Wüst erzählt eine entrümpelte Geschichte in ebenso kargen Bildern. Es geht um einen vom Regisseur selbst verkörperten Mann und eine Frau (Claudia Martini), deren Wege sich zufällig überschneiden. Sie wurden enttäuscht, sie haben ihre Nächsten verlassen, worüber man jedoch kaum mehr Worte verliert. Einmal gemeinsam unterwegs, kommt man schweigend besser voran. In einem Gefährt, das man früher "Alkoholikerauto" nannte, tuckern sie durch heimisches Niemandsland mit ungewissem Ziel.

Im heimischen Kino ist Wüst ein Solitär, dessen Filme mit minimalistischen Mitteln operieren, aber auch nicht die starke Geste scheuen. Aufbruch durchmischt nun das Schwere und Leichte. Die Passage der Figuren kommt immer wieder in Szenen zur Ruhe, in denen praktische Dinge verrichtet werden – Wüst, selbst gelernter Tischler, fertigt etwa ein Kruzifix. Die Symbolik solcher Objekte wird nur angedeutet, sie wechseln sogar ihre Funktionen. Die Breitwandbilder und ein markantes Sounddesign garantieren, dass man immer mehr in den Sog dieser mythenhaften Fluchtbewegung gerät.

Irrwege eines Diebesduos

Die Frage, welche Wahrheit sich hinter den Taten von Menschen versteckt, bewegt auch Museo. Im Mittelpunkt des mexikanischen Wettbewerbsbeitrags steht ein spektakulärer Einbruch in das Nationalmuseum für Anthropologie in Mexiko-Stadt im Jahr 1985. Gael Garcia Bernal spielt Juan, einen Tachinierer, der sich mit diesem Coup im Grunde nur beweisen will, dass er auch zu etwas imstande ist. Gemeinsam mit seinem Kumpel Wilson (Leonardo Ortizgris) stiehlt er unschätzbares Kulturgut, darunter die Totenmaske des Maya-Königs Pakal. Einbruch gelungen, trotzdem nichts erreicht: Die Diebe gelten als Nationalverräter, niemand will die heiße Ware abkaufen.

Trotz seines Heist-Movie-Plots kann man Museo nicht als astreinen Genrefilm bezeichnen. Ruizpalacios interessiert sich wenig für Spannungsdramaturgie, umso mehr für die Irrwege seines unprofessionellen Duos. Vom Maya-Land Palenque bis Acapulco durchmisst der Film Mexiko und entdeckt dabei so viele Identitäten wie Heucheleien, Museo ist deshalb mehr ein Sittenbild, in dem Juan nur einer von vielen ist, die einem falschen Bild von sich selbst nachhängen. Der Schatz selbst droht dabei immer wieder verlorenzugehen – oder er landet als Strandspielzeug bei Kindern. Ein schönes Bild für ein Land, das sein Erbe nicht eint. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, 22.2.2018)