Hurra, sie sind wieder da. Der Jubelruf gilt Herrn Wang und seiner Frau Wu, die bei mir um die Ecke am frühen Morgen wieder ihren mobilen Frühstücksstand aufstellen. Acht Tage waren sie zum chinesischen Neujahr bei den Eltern auf dem Land, rund 700 Kilometer entfernt im mittelchinesischen Henan. Allein die Bahnfahrt im völlig überfüllten Zug zurück hat zwölf Stunden gedauert.

Die Pekinger in meinem Viertel haben schon ungeduldig auf sie gewartet. Nun stehen sie Schlange vor dem Küchenwagen. Wang hat den Anhänger mit einem Dreirad-Motorkarren herangebracht. Auf der Ladefläche seines Karrens ist genug Platz, um noch fünf Riesentöpfe aufzustellen – voller heißer Breisorten mit roten Bohnen, Kürbis, Hirse, Songhuadan-Eiern und Doujiang (Sojabohnenmilch). Die Portion kostet drei Yuan (umgerechnet 40 Cent) im speziellen Pappbecher. Wang gibt einen großen Strohhalm dazu – zum Schlürfen für unterwegs. Ungeübte können sich daran ganz schön die Kehle verbrennen.

Der mobile Frühstückswagen von Herrn Wang und Frau Wu.
Erling

Das alles ist für Europäer gewöhnungsbedürftig, besonders die dazugehörenden Teigtaschen. Wang brät sie aus vorgeknetetem frischem Teig, schlägt ein Ei hinein und brutzelt alles auf seiner großen Herdplatte knusprig aus. Wu füllt Salzgemüse hinein und streicht zweierlei Chilisoßen darüber.

Salatblatt als Krönung

Die Grundversion lässt sich zur doppelt so teuren Deluxe-Version aufstocken mit einer Scheibe gegrilltem Schinken, Hühnerbrust oder einem Würstchen. Als Krönung – auch farblich – kommt ein frisches grünes Salatblatt dazwischen. Für ganz Eilige hängen am Stand QR-Codes aus, damit sie noch schneller bargeldlos zahlen können.

Frühstückskarren mit Breibehältern von Herrn Wang und Frau Wu.

Von 6.30 bis um neun Uhr gibt es Frühstück auf der Straße im Akkordtempo. Dann aber müssen die beiden schlagartig weg, sonst beschlagnahmen Ordnungsbeamte ihren Wagen. Vor fünf Uhr sind sie aufgestanden. Wie hunderte andere Ehepaare holten sie sich von einer der Frühstücksgesellschaften ihre fahrende Küche und die vorbereiteten Nahrungsmittel ab.

Imbisse seit 2016 verboten

2002 organisierte die Stadt den neuen mobilen Dienst, um das Frühstücksproblem der Pekinger zu lösen, die ihre Kinder in den Kindergarten oder in die Schule bringen und dann zur Arbeit hetzen. Fünf Gesellschaften gewannen damals die Ausschreibung und entwickelten ein standardisiertes Schnellfrühstück. Bald gab es 800 mobile Küchen. Sie wurden zur Plage, weil sie die Gehsteige besetzten. Ärger gab es auch mit der Hygiene und dem Propangas. Die Stadt beschloss, nach 2016 alle derartigen Imbisse aus der Innenstadt zu vertreiben, sehr zum Ärger der Bürger.

Nun sind sie wieder da, aber nur geduldet. Auf Dauer sind ihre Tage gezählt. Denn die Hauptstadt soll nach außen etwas herzeigen, verlangen Chinas Führer. Für Frühstücksbuden oder Anbauten auf der Straße soll es keinen Platz mehr geben.

Es gibt Alternativen. Neben den Frühstücksrestaurants nach kantonesischer Art, den Teestuben mit Gebäck und den überall öffnenden Kaffeehäusern à la Starbucks und westlichen Fastfoodketten mit chinesischem Frühstück machen innovative und dennoch traditionelle Etablissements Furore, wie die "Hallen zum Goldenen Ding-Dreifuß" (Jin Ding Xuan).

Frühstücksangebot in den "Hallen zum Goldenen Ding-Dreifuß".
Erling

Der Dreifuß ist Markenzeichen einer 1993 gegründeten Kette mit 31 Filialen in Peking. Die bis zu fünfstöckigen und rund um die Uhr geöffneten Esspaläste betreiben ihre eigenen "grünen" Farmen und Gemüsefelder. Ich liebe ihr Frühstück mit seiner Auswahl an Leckereien der chinesischen Frühstücksküche von Dim Sum, gedämpften Wecken wie Mantou bis Huaquan, in Öl gebruzzelten Fladen (Youtiao), Appetitanregern, Breis und Nudeln.

Frühstück bestimmt das Denken der Pekinger

Chinesisches Frühstück müsse entdeckt werden, sagte mir einst der Karikaturist Han Meilin. Es bestimme das Denken vieler Pekinger. Als vor zehn Jahren Avantgardebauten wie das Nationalstadion, das CCTV-Medienhaus und das Nationaltheater heftige Kontroversen auslösten, schmähte der Volksmund sie zuerst als "großes Frühstück": Sie nannten das von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron entworfene Vogelnest-Nationalstadion wegen seines Stahlgestrüpps "fangbianmian", die getrockneten Nudeln einer Tütensuppe.

Die Kette betreibt 31 Filialen in Peking.
Erling

Die beiden verwinkelten Stahltürme der CCTV-Medienzentrale, die die Stararchitekten Rem Koolhaas und Ole Scheeren bauen ließen, erinnerte sie an "auseinandergebrochene Youtiao"-Fladen. Und das im Teich liegende ovale Nationaltheater des Franzosen Paul Andreu sehe aus wie "ein Spiegelei". Nach so viel Frotzelei ließen die Pekinger sich damals ihr Frühstück doppelt so gut schmecken. (Johnny Erling aus Peking, 27.2.2018)