Vor achtzig Jahren malte der US-amerikanische Ausnahmekünstler und Schrittmacher des Surrealismus, Man Ray, in Paris ein ungewöhnliches Gemälde: "La Fortune". Ein überdimensional großer Billardtisch ragt direkt aus dem Betrachterraum in einen mit bunten Wolken übersäten Himmel. Man kann diese scheinbar klassisch surreale Komposition des bebilderten Gewölbes des Himmels bei der faszinierenden Ausstellung des Gesamtwerks des Künstlers im Kunstforum bewundern. Zu Recht weist die Kuratorin Lisa Ortner-Kreil darauf hin, dass der Begriff "La Fortune" nicht nur für Glück, sondern auch für Schicksal steht. Eine doppelte Bedeutung also, die für den jüdischen Maler vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund am Vorabend des Zweiten Weltkriegs besonders relevant war. Die Lage wird mit einer Partie Billard gleichgesetzt, deren Ausgang ungewiss ist.

Die Deutung des von dem New Yorker Whitney Museum entliehenen Bildes – Spiel, Risiko, Zerfall und Wagnis – lässt alles offen und erinnert den europäischen Betrachter unwillkürlich daran, dass auch heute das Schicksal unseres Kontinents offen ist. Es geht nicht wie 1938 um die Gefahr eines Weltkriegs, heraufbeschworen durch die Expansion Hitler-Deutschlands, jedoch immerhin um die unabsehbaren Folgen des sich abzeichnenden Zerfalls des demokratischen Europa.

Die heiklen und unergiebigen Debatten beim Gipfeltreffen der EU über den Finanzrahmen nach der Lücke, die durch das Ausscheiden Großbritanniens verursacht wurde, die künftigen EU-Institutionen und die Forderungen nach zusätzlichen Mitteln für Grenzschutz und Terrorbekämpfung zeigen, dass zu viele Mitgliedsstaaten mehr Europa mit weniger Geld wollen.

Der schlecht vorbereitete Vorstoß der geschwächten deutschen Kanzlerin, die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen durch die Visegrád-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn) mit der Kürzung von Förderungen im Fall der Weigerung zu verbinden, hat sich schnell als ein Bumerang erwiesen. Nicht die politisch aussichtslose und von den Asylwerbern auch bisher nicht gewollte Quotenregelung, sondern die längst überfällige, organisierte und konsequente Korruptionsbekämpfung, gekoppelt mit dem Druck, die Institutionen des Rechtsstaats und der Medienfreiheit wiederherzustellen, sollten als Hebel zur Drohung mit der Kürzung der enormen Förderungen dienen. Agrar- und Strukturförderungen machen drei Viertel des 160-Milliarden-Euro-Jahresbudgets der EU aus.

Der sensationelle Sieg des von der gesamten Opposition unterstützten unabhängigen Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl in der ungarischen Provinzstadt Hódmezővásárhely (der Heimatbezirk des Staatsministers János Lázár, Nummer zwei der Orbán-Regierung, galt als Fidesz-Hochburg) ebenso wie die Protestdemonstrationen in Bukarest gegen die von der sozialdemokratischen Regierung geforderte Ablöse der international geachteten Leiterin der Behörde zur Bekämpfung der Korruption, Laura Kövesi, zeigen die verwundbarsten Stellen jener EU-Regierungen, die die verfassungsmäßigen Bremsen zur Sicherung des Rechtsstaates gänzlich oder teilweise abgeschafft haben. (Paul Lendvai, 26.2.2018)