Gewerkschafter demonstrieren Stärke bei einem Aufmarsch in New York.

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Wien – Die schwarz-blauen Koalitionäre haben die Pflichtmitgliedschaft in Arbeiter- und Wirtschaftskammer vorerst nicht angetastet. Die Diskussion über Für und Wider des Kammerzwanges ist aber damit nicht zu Ende.

Eine Debatte unter ähnlichen Vorzeichen tobt derzeit in den USA: Auch dort wird darüber gestritten, ob Millionen von Arbeitnehmern weiter verpflichtet werden können, für ihre Interessensvertretung zu zahlen, und zwar selbst dann, wenn sie das gar nicht möchten.

Wie in Österreich, wo die Arbeiterkammer Denkfabrik und Kaderschmiede der Sozialdemokratie ist, ihre Schwächung also politische Folgen hätte, tobt auch in den USA ein parteipolitischer Streit um Pflichtbeiträge. Entzündet hat er sich an einer Beschwerde eines öffentlich Bediensteten aus Illinois namens Mark Janus.

45 Dollar im Monat

Janus arbeitet für eine staatliche Familienberatungsstelle. Er ist nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Sein Arbeitsvertrag schreibt ihm allerdings vor, dass er jeden Monat Beiträge an eine Gewerkschaft bezahlen muss. In seinem Fall waren das 45 Dollar pro Monat an die American Federation of State, County and Municipal Employees. In 22 der 50 US-Bundesstaaten, darunter Kalifornien, New York und Illinois, sind öffentlich Bedienstete dazu verpflichtet, an Gewerkschaften Beiträge abzuführen, und zwar selbst dann, wenn die Betroffenen gar keiner Gewerkschaft angehören.

Die Idee dahinter: Die Interessensvertretungen verhandeln die Gehälter der öffentlich Bediensteten. Die Beitragspflicht soll sicherstellen, dass all jene Arbeitnehmer etwas an die Gewerkschaft zahlen, die von deren Lohnabschlüssen profitieren, aber nicht Mitglied sind. Landesweit gilt diese Pflicht für fünf Millionen Lehrer, Feuerwehrleute und Polizisten und andere öffentlich Bedienstete.

Beschwerde eingebracht

Mark Janus hat dagegen Beschwerde eingebracht – der Fall wird seit Montag vom Obersten Gerichtshof der USA in Washington verhandelt. Das Argument der Anwälte von Janus lautet: Die Gewerkschaften üben eine primär politische Interessensvertretung aus. Die Verpflichtung sie zu unterstützen, sei daher eine Einschränkung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung. Schließlich kann auch niemand dazu gezwungen werden, eine Lobbygruppe zu unterstützen.

Die Chancen stehen gut, dass die Zahlungsverpflichtung fallen wird. 2016 hat der Oberste Gerichtshof einen ähnlichen Fall gehört, damals hatten kalifornische Lehrer eine Beschwerde mit ähnlichen Argumenten eingebracht. Der Höchstrichter Antonin Scalia war damals gerade verstorben und die übrigen acht Richter waren unentschieden in der Sache – sie stimmten 4:4 ab. Inzwischen wurde Scalias Posten nachbesetzt. US-Präsident Donald Trump hat den konservativen Juristen Neil Gorsuch ans Höchstgericht berufen. Damit stehen die Chancen gut, dass die Entscheidung 5:4 zugunsten der Gegner der Pflichtbeiträge ausgeht.

Die Trump-Regierung argumentiert, dass die Abschaffung der Pflichtbeiträge den Arbeitnehmern mehr Freiraum bringen werde. US-Präsident Barack Obama hatte dagegen 2016 für die Beibehaltung des Systems plädiert.

Bastion der Demokraten

Die US-Gewerkschaften gelten als große politische Bastion der Demokraten und gehören zu ihren wichtigsten Financiers. Selbst in Rust-Belt-Staaten, also in jenen Gegenden, die sich von der liberalen Elite in Washington vernachlässigt fühlen, sind die Gewerkschaften gegenüber den Demokraten ausgesprochen loyal. Über die vergangenen Jahrzehnte hat die gewerkschaftliche Durchdringung stark abgenommen. Laut Zahlen des US-Arbeitsministeriums sind nur noch 6,5 Prozent der Privatangestellten in einer Gewerkschaft organisiert. Bei öffentlichen Bediensteten sind es 34 Prozent. Die öffentlichen Gewerkschaften bieten also den stärksten Rückhalt für die Demokraten.

Republikanische Wahlhilfe

Was geschieht, wenn die Pflichtbeiträge abgeschafft werden, haben Ökonomen und Politologen unter Leitung von James Feigenbaum von der Boston University untersucht. Die Ergebnisse ihrer soeben veröffentlichten Arbeit geistern derzeit durch die US-Medien, weil sie eine plausible Erklärung dafür bieten, weshalb die Republikaner so interessiert an einer Abschaffung der Pflichtbeiträge sind.

Die US-Bundesstaaten durften schon bisher Gesetze erlassen, die ermöglichen, dass Arbeitnehmer von der Beitragspflicht entbunden werden. Viele Staaten wie Texas oder Virginia haben dieses Recht genützt. Ökonom Feigenbaum und seine Kollegen haben sich nun angesehen, wie sich das auf Wahlergebnisse niedergeschlagen hat. Ergebnis ihrer Studie in Wahlbezirken zwischen 1980 und 2016: Dort, wo Arbeitnehmer frei wählen konnten, nahm die Bedeutung von Gewerkschaften ab. Die Zahl der Mitglieder ging zurück.

Bei Präsidentschaftswahlen ging der Wähleranteil eines demokratischen Kandidaten im Schnitt um 3,5 Prozentpunkte in Bezirken zurück, wo die Beitragspflicht abgeschafft wurde, so die Studie.

Laut New York Times unterstützen Industrielle und Großspender der Republikaner die Beschwerde von Mark Janus beim Höchstgericht. Die Entscheidung in dem Fall dürfte bis zum Sommer erfolgen. Geben die Höchstrichter Janus recht, wären damit fünf Millionen öffentlich Bedienstete den Zwangs-Obolus los. (András Szigetvari, 27.2.2018)