"Ich jage keiner Karriere nach", sagt Fotini Kourkoula (24), eine Sozialarbeiterin und Aushilfskellnerin. "Aber ich brauche Leute um mich. Freunde, an die ich mich anlehnen kann."

Tina Pfäffle

"Wenn ich nicht so idealistisch wäre, würde ich vielleicht leichter eine Anstellung finden", sagt der Journalist, Student und Kellner Haris Frantzis (25). "Mein Leben wäre konservativer, in einem schlechten Sinn. Ein Leben als Jasager."

Tina Pfäffle

"Ich werde ein schlechteres Leben als meine Eltern haben", sagt Maria Papavassiliou (24), eine angehende Griechischlehrerin. "Und alle meine Freunde werden allein sein oder bei ihrer Familie bleiben, weil sie kein Geld haben für ein eigenes Leben."

Tina Pfäffle

"Ich habe ihm geglaubt. Die meisten von uns haben ihm geglaubt", sagt der Schauspieler und Dichter Thanos Kotzis (25). Sein erster Gedichtband "Askisis" ("Übungen") erschien 2014 im Athener Verlag Gavrilidis.

Tina Pfäffle

Der Vater hat von seiner Kündigung im Radio erfahren, vormittags nach dem Schwimmen im Meer. Fotini Kourkoula erinnert sich genau daran. Es war der Moment, in dem Griechenlands große Krise auch in das Leben ihrer Familie hereinbrach. Der Vater im Auto mit dem Handtuch und der Nachrichtensprecher im Radio, der die Abschaltung des Staatssenders meldet. Fotinis Vater arbeitet dort, er ist Techniker in der Abendschicht. Und jetzt ist der ganze Sender weg und damit auch ein Großteil des Einkommens der Familie.

Der konservative Regierungschef hatte es so entschieden, über Nacht und im Alleingang. Es ist der Sommer 2014. Fotini hat bereits ihre Schule abgeschlossen, eine der nicht eben billigen Athener Privatschulen. Dafür reichte das Geld noch. Nun aber spülen Rezession und radikaler Sparkurs die junge Athenerin hinein in den Sumpf ihrer Generation: keine richtigen Jobs, keine Zukunft, keine Freiheit.

Melancholische Kämpfer, düstere Engel

Acht Jahre Finanz- und Wirtschaftskrise haben das Leben der jungen Griechen zerrissen, bevor es wirklich begonnen hat. Melancholische Kämpfer und düstere Engel hat diese Krise dafür hervorgebracht, junge Menschen wie Fotini Kourkoula oder Maria Papavassiliou, beide 24 Jahre alt. "Ich versuche positiv zu sein und nicht aufzugeben", sagt Fotini. Ihren ersten Job als Sozialarbeiterin hat sie trotzdem gerade enttäuscht hingeworfen: Hausmädchen für alles, inklusive sexuelle Belästigungen durch den Chef, in einem privaten Altersheim in Athen.

Drei Monate hielt Fotini durch. Jetzt jobbt sie in einem Café für vier Euro die Stunde. Der übliche Lohn und etwas, um die Zeit zu überbrücken. Fotini wartet auf den Beginn eines Aufbaustudiums. "So wie es aussieht, haben wir verloren", sagt Maria. Sie studiert schon seit sieben Jahren, fast so lange, wie diese Krise anhält. Erst Philologie, dann Linguistik. Der Hörsaal ist ihr Zufluchtsort.

Absacken statt durchstarten

"Ich werde ein schlechteres Leben als meine Eltern haben", sagt Maria. "Ich werde arbeiten, aber mir nichts leisten können. Und alle meine Freunde werden allein sein oder bei ihrer Familie bleiben, weil sie kein Geld haben für ein eigenes Leben." Absacken statt durchstarten ist das Los dieser Generation. Man hangelt sich durch von einem Nebenjob zum nächsten, setzt ein Aufbaustudium auf das erste Studium, beginnt eine Doktorarbeit, lässt sich von den Eltern aushalten. Die Zukunftslosigkeit der Jungen ist vermutlich die schlimmste Folge von Griechenlands großer Krise. Etwas, das sich nicht bemessen lässt in Primärsaldo des Budgets und in Zinsspanne bei Staatsanleihen.

Sie alle waren im letzten oder vorletzen Schuljahr, als das Land seinen Bankrott verkündete. Der Regierungschef setzte seine Unterschrift unter den ersten Rettungskredit mit den drakonischen Sparauflagen. Georges Papandreou hieß er damals im Mai 2010. Drei weitere Ministerpräsidenten kamen nach ihm und dann schließlich Alexis Tsipras. Jung und links und immer ohne Krawatte. Er verspricht die Befreiung vom Joch der Kreditgeber. Ein großer Teil der jungen Griechen stimmt für ihn. Es ist die Generation Tsipras. Dann lässt er sie fallen.

43 Prozent Jugendarbeitslosigkeit

Über die Parolen ihres linken Ministerpräsidenten kann die Generation Tsipras nur lächeln. Besonders über jene vom "Sieg des griechischen Volks" und vom Ende des Spardiktats, wenn im August dieses Jahres das Programm des mittlerweile dritten Rettungskredits ausläuft. "Es herrscht Hass zwischen dem Staat und den jungen Menschen", stellt Haris Frantzis fest, Marias Freund. Er sagt es mit einer Beiläufigkeit, als würde er über das Wetter sprechen. Bei 21 Prozent steht nun die Arbeitslosenrate in Griechenland, weiterhin die höchste in der Europäischen Union. Bei den jungen Erwachsenen ist es noch schlimmer. 43 Prozent sind arbeitslos gemeldet. Es sind offizielle Zahlen, keine, die das ganze Ausmaß der Krise wiedergeben, wie auch Regierungsmitarbeiter einräumen. Zwischen 50 und 60 Prozent Arbeitslose seien eine realistischere Annahme, sagt Haris – "in meinem Alter". Haris ist 25.

Die Generation Tsipras hat viele Gesichter, aber ähnliche Geschichten vom Absprung aus dem Jugendleben, der nicht gelingen will. Haris Frantzis ist der Unbeugsame, ein athletisch gebauter junger Mann mit flinken Augen und starken Willen. Absolvent einer Athener Journalistenschule, bereits verkracht mit seinem ersten Arbeitgeber, dem Chefredakteur einer linken Tageszeitung, und nun wieder Student. "Wenn ich nicht so idealistisch wäre, würde ich vielleicht leichter eine Anstellung finden", sagt er. "Mein Leben wäre konservativer, in einem schlechten Sinn. Ein Leben als Jasager."

"Sie spüren die Ungleichheit"

"Diese Generation der Mittzwanziger ist sehr enttäuscht", sagt Persefoni Zeri, eine Psychologin von der Athener Panteion-Universität. "Die große Erfahrung, die sie macht, ist der Ausschluss von der Arbeitswelt. Sie haben Universitätsdiplome, finden aber keine Arbeit, die ihrer Qualifikation entspricht. Sie spüren die Ungleichheit. Es ist eine verlorene Generation", stellt die Professorin fest. "Diese Generation hatte dazu noch das Pech, in die Hände einer Syriza-Regierung zu fallen."

Die linksradikale Partei habe nie wirklich regiert, seit sie 2015 an die Macht kam, sagt die Psychologin. Syriza habe nur unterschrieben, was Griechenlands Kreditgeber wollten, und gleichzeitig Wachstum und Investitionen aus ideologischen Gründen verhindert. Persefoni Zeri macht keinen Hehl aus ihrer Verachtung für Tsipras. Einen Demagogen nennt sie ihn. Ungebildet, aber ein politisches Talent.

Tsipras' Versprechen

"Ich habe ihm geglaubt. Die meisten von uns haben ihm geglaubt", sagt Thanos Kotzis, ein junger Schauspieler, über Alexis Tsipras. "Er hat Jobs und Geld versprochen, und dass er die Kreditgeber nicht mehr zahlen würde. Am Ende hat er nichts davon getan."

Thanos hat in dieser Saison seine erste Rolle in einem etablierten Athener Theaterensemble. Er spielt umsonst und vor Sitzreihen, die nur zu einem Drittel gefüllt sind. Man braucht einiges Selbstvertrauen und natürlich das Geld der Eltern, um das durchzuhalten. Aber Thanos ist in Gedanken schon anderswo. "Es wird sich nichts ändern in Griechenland", sagt er. Berlin und seine Theaterbühnen scheinen ihm das bessere Ziel. (Markus Bernath; 27.02.2018)