Fuminori Nakamura schildert in "Die Maske" eine perverse Klan-Gepflogenheit.


Foto: Sodo Kawaguchi

Wien – "Wenn du vierzehn bist, zeige ich dir die Hölle." Dieser Satz auf den ersten Seiten von Fuminori Nakamuras Thriller Die Maske lässt einen schaudern. Er kommt vom Vater des Protagonisten Fumihiro Kuki, der einer alten Familientradition folgend seinen Sohn zu einem "Geschwür" erziehen will. Unmittelbar taucht man in die Kulissen des Romans ein. Man sieht die Rauchschwaden der Zigaretten, fühlt die Einsamkeit der leeren, dunklen Räume, nimmt den süßlichen Geruch des allgegenwärtigen Whiskeys wahr, in dem man Eiswürfel klirren zu hören glaubt.

Dann steigt man mit dem Protagonisten in grüne Taxis, verlässt mit ihm unheilvolle Gegenden, um in die periphere Präfektur Aichi zu gelangen. Fumihiros Schicksal scheint seit seiner Geburt besiegelt. Er soll als Jüngster der Familie des mächtigen (ehemals tatsächlich existierenden) Kuki-Klans seelisch von seinem Vater derart misshandelt werden, dass er zu unvorstellbar grausamen Verbrechen fähig wird. Die Adoptivtochter Kaori soll im perversen Plan des Vaters die zentrale Rolle spielen.

Als Fumihiro eine Beziehung mit Kaori beginnt und sein besagter vierzehnter Geburtstag naht, wird ihm klar, worin der teuflische Plan besteht. Um Kaori vor dem Missbrauch durch seinen Vater zu beschützen, sieht er nur einen Weg: den alten Mann zu töten. Doch statt der erwarteten Erlösung empfindet er nur Schuldgefühle, und es tritt das ein, was ihm der Vater im letzten Gespräch prophezeit hat, nämlich dass er durch den Mord erst recht ein Leben lang mit seinem Geist verbunden bleiben wird und sich so selbst zum "Geschwür" macht.

Die Geschichte nimmt ihren Verlauf und formt sich zu komplexen Verstrickungen. Ein Leben lang soll Fumihiro versuchen, Kaori zu beschützen. Dazu mengen sich die Interessen der Terrororganisation JL, andere Mitglieder des Kuki-Klans und ein Kriminalbeamter in der Rahmenhandlung.

"Glück ist eine Festung" klingt öfters in Die Maske an. Tatsächlich erleben die Figuren Glück stets aus der Außenperspektive, als ein für sie nicht zugängliches Ideal. Nakamura verwebt neben dem persönlichen Glück auch noch viele weitere zeitlose Themen in den Plot und erschwert dadurch die Zuordnung zur herkömmlichen Form des Krimigenres. Im Sinne eines Noir-Romans steht uns in Fumihiro ein Mann mit selbstzerstörerischen Tendenzen gegenüber, der ausgiebig das Für und Wider eines Suizids abwägt. Ein heikles Thema in Japan, einem Land mit sehr hohen Selbstmordraten.

Fuminori Nakamura (ein Pseudonym) überschreitet die Grenzen menschlicher Gesellschaft in einem fort: in Situationen, in denen ein Mord legitim scheint, genauso wie im Annehmen fremder Identitäten. Es geht um Menschen und deren Taten jenseits eines moralischen Schwarz-Weiß-Schemas. Die Maske (2010 auf Japanisch erschienen) ist in der Übersetzung von Thomas Eggenberg nach Der Dieb Nakamuras zweiter in deutscher Sprache erschienener Roman. Die Verfilmung soll noch dieses Jahr in Japan zu sehen sein. Das Buch ist – um es mit Nakamuras eigenen Worten auszudrücken – "ein grandios apokalyptisches Spektakel". Empfehlung! (Hannah Mühlparzer, 27.2.2018)