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Kadetten der König-Faisal-Luftwaffenakademie bei ihrer Angelobung. Mit einem Dekret hat König Salman in der Nacht auf Dienstag die Spitzen des saudi-arabischen Militärs ausgetauscht.

Foto: Reuters / Bandar Algaloud / Saudi Royal Court

Die Dekrete kommen fast immer in der Nacht: "Beim Aufstehen sind wir gespannt, ob es wieder etwas Neues gibt", sagt S. aus Riad. Die nicht mehr junge Frau ist eine begeisterte Anhängerin der Gesetzeserlässe und Verordnungen von König Salman bin Abdulaziz, und das gilt besonders für dessen Frauenpolitik. Nie hätte sie vor zwei Jahren gedacht, sagt sie, dass die Frauen in Saudi-Arabien so schnell so weit kommen würden.

Beim jüngsten Paket an königlichen Dekreten, das Montag spätabends bekanntgemacht wurde, geht es um Entlassungen und Ernennungen. Auch für die Frauen war etwas dabei. Saudi-Arabien bekommt eine stellvertretende Ministerin für Arbeit und soziale Entwicklung, Tamadur Youssef Al Rammah. Sie ist zwar nicht die erste Vizeministerin in Saudi-Arabien – die gab es schon 2009 unter König Abdullah -, aber beim Ministerium für Arbeit handelt es sich um eines der Schlüsselministerien für die Zukunft des Landes.

Die umfassendsten Personalrochaden betreffen das saudische Militär – und wer sie veranlasst hat, wird auch offen dargelegt: Der Sohn des Königs, Kronprinz Mohammed bin Salman, ist ja auch Verteidigungsminister. Generalstabschef, Luftwaffenchef, Armeechef: Alle drei Posten wurden neu besetzt.

Dies mag ein Eingeständnis sein, dass MbS, wie er stets genannt wird, mit dem Verlauf des Kriegs im Jemen unzufrieden ist, den er zu verantworten hat. Das saudische Engagement dort geht bald ins vierte Jahr. Es bleibt zu sehen, ob nun ein Strategiewechsel erfolgt. Aber die Neubesetzungen sind auch Teil des Umbaus, der schon seit längerer Zeit läuft. Alles, was die Sicherheit betrifft, von der Polizei über die Nationalgarde bis zu den Geheimdiensten, ist in der Hand von MbS-Loyalisten.

Bürgermeister, Gouverneure

Des Weiteren gibt es Rochaden in Ministerien, einige Bürgermeister wurden ausgetauscht, Gouverneure neu ernannt. Manche Dekrete enthalten die gesichtswahrende Formel, dass der Wechsel auf Wunsch des alten Amtsinhabers stattfinde. Andere kommen barsch daher.

An der Liste der neuen Vizegouverneure fällt auf, dass auch Angehörige aus Zweigen der Königsfamilie zum Zug kommen, die zuletzt als Verlierer galten. Es sind unter anderem Nachkommen von zwei Halbbrüdern des Königs: von Muqrin, der 2015 als Kronprinz gehen musste, und von Talal, dessen Sohn, der superreiche Geschäftsmann Alwaleed bin Talal, zu jenen Personen gehörte, die wochenlang im Ritz-Carlton in Riad festgehalten wurden, bis sie bereit waren, einen Teil ihres Vermögens abzugeben. Veranlasst war das von MbS worden, der – wer sonst – Chef der neuen Antikorruptionsbehörde ist. Ihre Ernennungen, besonders jene von Prinz Turki bin Talal zum Vizegouverneur der Region Asir, gelten als versöhnliche Geste.

König Salman ist aller Voraussicht nach der letzte Sohn des Staatsgründers Ibn Saud (gestorben 1953) auf dem Thron des wahhabitischen Königreichs. Mit seinem Sohn Mohammed wird ein Generationswechsel vollzogen werden. Bisher war das Königreich eher ein in familiärem Konsens regiertes Unternehmen, MbS greift nach der absoluten Macht – und sichert den Übergang ab.

Gibt es in der Familie teilweise Grollen darüber, so kann MbS eindeutig auf große Unterstützung in Teilen der saudi-arabischen Bevölkerung zählen: Die jüngere, städtische, gebildete Mittelschicht traut ihm die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation zu, die er sich auf die Fahnen geheftet hat. Dazu gehören – für saudische Verhältnisse – Riesenschritte für die Frauen, wie die nahende Umsetzung der Erlaubnis, Autos zu chauffieren.

Kein öffentlicher Diskurs

Offene kritische Stimmen gibt es wenige: Die Progressiven bekritteln, dass die Reformen nicht Resultat eines öffentlichen Diskurses, sondern von oben verordnet sind. Zudem gibt es keinerlei politische Öffnung. Die neuen Freiheiten beschränken sich bisher eher auf Äußerlichkeiten: So wächst das Angebot von Vergnügungsmöglichkeiten – für eine Bevölkerung, der versüßt werden muss, dass sie nicht mehr von den Ölrenten des Staats leben kann. Wenn sie jedoch arbeiten soll, braucht sie auch Jobs.

Eine Gefahr ist auch der große erzkonservative Sektor der Gesellschaft, dem das alles viel zu schnell geht. Momentan ist das alte religiöse Establishment verstummt, zu hören sind hingegen Geistliche, die MbS' "Modernisierung" des Islam unterstützen. Wenn der Kronprinz mit seiner "Vision 2030" erfolgreich ist, wird niemand mehr seine einsamen Entscheidungen von oben hinterfragen. Aber es ist eine Hochrisikopolitik. (Gudrun Harrer, 27.2.2018)