Wer sich auf Bali spirituell reinigen will, wird manchmal ziemlich nass dabei.

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Yoga, Reinigungsrituale, Heilerbesuche – es gibt nichts, womit man die Seele nicht entgiften kann.

Foto: COMO Hotels and Resorts

Im Como Shambhala Estate, einer Hotelanlage 20 Kilometer außerhalb von Ubud, kann man an einer traditionellen Wasserzeremonie teilnehmen.

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Yoga kommt mit vollem Magen nicht mehr infrage.

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Ubud war einmal ein verschlafenes Nest an der Kreuzung von Denpasar hinauf zu den Bergen. Heute ist es ein verwinkeltes Städtchen mit Coffeeshops, Restaurants und Massagesalons.

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Elizabeth Gilbert veröffentlichte 2006 ihren Bestseller "Eat Pray Love", dessen finales Kapitel ihre Selbstfindung in Ubud beschreibt. Seitdem machen sich jedes Jahr tausende Anhänger auf den Weg, um ihren Pfad der Erkenntnis nachzuempfinden.

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Diese Fingernägel! Man kann gar nicht woanders hinschauen, obwohl man sich gerade auf die spirituelle Reinigung konzentrieren soll. Wie soll das gehen, wenn der balinesische Priester an der linken Hand so lange Nägel hat wie eine chinesische Konkubine? Die Nägel sind spitz, lang und poliert. Für die Tänze, sagt der Geistliche, brauche er diese. Für dramatische Drehungen, wenn blecherne Gamelan-Instrumente Epen von Mord, Totschlag und Auferstehung klappern.

An solchen Ritualen haben bis vor zehn Jahren wenige Europäer oder Amerikaner auf Bali teilgenommen. Ubud, die kleine Stadt im Hinterland, galt zwar Einheimischen seit Jahrhunderten als spirituelles Zentrum der Insel, doch erst eine Amerikanerin mit Burnoutsyndrom kurbelte den Erleuchtungstourismus hier an. Elizabeth Gilbert veröffentlichte 2006 ihren Bestseller "Eat Pray Love", dessen finales Kapitel ihre Selbstfindung in Ubud beschreibt. Seitdem machen sich jedes Jahr tausende Anhänger auf den Weg, um ihren Pfad der Erkenntnis nachzuempfinden.

Seele entgiften

Essen, beten und sich ein wenig mehr lieben. Das hilft schon einmal. Um all das herum hat sich eine ganze Industrie entwickelt mit mehr oder minder seriösen Angeboten für die Sinnsuche. Yoga, Reinigungsrituale, Heilerbesuche – es gibt nichts, womit man die Seele nicht entgiften kann.

Im Como Shambhala Estate, einer Hotelanlage 20 Kilometer außerhalb von Ubud, kann man an einer traditionellen Wasserzeremonie teilnehmen. Der örtliche Priester mit den eindrucksvollen Fingernägeln führt diese in einem Tempel durch. Wilde Raftingrouten über den Ayung River führen unterhalb des Tempels im Tal vorbei, Backpacker schreien sich die Seele aus dem Leib, während der Priester still zu den Hindugöttern Vishnu, Brahma und Shiva betet.

Armband für Gereinigte

Der Priester erklärt nun die komplizierte Prozedur des Wasserrituals. Wer seinen Körper spirituell reinigen möchte, wäscht sich nach einem strengen System und betet dabei stumm zu den Göttern. Die Zahl drei spielt eine wiederkehrende Rolle. Dreimal das Wasser über den Kopf gießen, dreimal ins Gesicht spritzen, dreimal über den Oberkörper schütten – jeweils vor allen drei heiligen Quellen, die aus dem Berg herausströmen. Zum Schluss bindet der heilige Mann schwarz-weiß-rote Bänder um das rechte Armgelenk – ein Zeichen für erfolgte Purifikation.

Ein riesiger Teller mit Opfergaben soll die Götter gnädig gegenüber den Fremden stimmen. Kuchen, Bananen, Ananas, Mandarinen finden sich darauf, die Gaben teilt man mit vorbeikommenden Menschen. Wer mehr verschenkt, findet größere Achtung bei den Göttern. Und wie fühlt man sich danach? Auf jeden Fall erfrischt nach all dem kühlen Bergwasser und pappsatt vom süßen Kuchen. Yoga kommt mit dem vollen Magen nicht mehr infrage.

Kittende Funktion

Noch vor den Spiritualisten waren es die Künstler, die den Ort mit den tausend Tempeln für sich entdeckten. Die Schriftstellerin Vicki Baum kam Mitte der 1930er-Jahre hierher und schrieb danach den Roman "Leben und Tod auf Bali". Über die Insel heißt es in dem Buch: "Die Götter ändern sich nicht, und solange sie noch in tausend Tempeln thronen, in jedem Fluss und Berg und Baum und Feld, solange wird auch Bali sich nicht ändern." Ihre Prophezeiung hält der Gegenwart nicht stand. Ubud war einmal ein verschlafenes Nest an der Kreuzung von Denpasar hinauf zu den Bergen. Heute ist es ein verwinkeltes Städtchen mit Coffeeshops, Restaurants und Massagesalons.

Siti Gusti, nach Eigenaussage Mitglied einer alten noblen Familie, fungiert als kulturelle Beraterin des Amandari Resort – einer Hotelanlage einige Kilometer näher an der Stadt – und führt gern in die Gepflogenheiten der Insel ein. "Wir glauben daran, dass wir ein Gleichgewicht im Leben finden, wenn wir viel beten", sagt die ältere Dame mit den hochgesteckten Haaren und dem mädchenhaften Kichern. Sie legt intensiv duftende Frangipani-Blüten an die heimischen Schreine. "Die Götter lieben den Geruch", sagt sie, als würde sie von exzentrischen, aber liebenswerten Nachbarn reden. Der familiäre Tempel hat eine kittende Funktion: Er ist die spirituelle Verbindung zu den Vorfahren, die man hier mit Gaben und Gebeten ehrt.

Junger Weiser

Die meisten Hotelanlagen in Ubud bieten ihren Gästen mittlerweile einen spirituellen Rundumservice an. Jann Hess, der General Manager des Amandari Resort, berichtet, dass vor allem eine Gruppe diese Erbauungsreisen schätzt: alleinreisende Frauen mittleren Alters. Viele suchen wie Elizabeth Gilbert einen Heiler auf, um Erlösung von ihren seelischen oder körperlichen Leiden zu finden. Gilbert erzählt in ihrem Buch von einem steinalten Mann, Ketut Liyer, der sie mit kryptischen Bonmots zur Erleuchtung brachte. Er verstarb 2016, angeblich im Alter von 100 Jahren. Die Autorin nannte ihn in einem Onlinepost "einen Mystiker, einen Zeitreisenden, einen Weltenveränderer" – und "einen Schwindler, Zauberer und Bauernfänger".

Pak Rok Kai ist nach Angaben der Einheimischen 85 Jahre alt, also ein Youngster unter den Weisen. Er empfängt für Heilersitzungen in einem unspektakulären Hof und in einfacher Kleidung. Aufsehenerregend ist, wie er seine Patienten behandelt. Er sitzt in einem von drei Seiten offenen Pavillon, das Behandlungszimmer ist eine erhöhte und gekachelte Fläche. Jeder muss eine Nummer ziehen wie auf dem Arbeitsamt. Vor aller Augen wird sie oder er untersucht, ein bisschen wie "Dr. House" in einer Freiluftaufführung – und natürlich ohne Privatsphäre.

Jungfräulichkeit offenbart

Der winzige Heiler drückt einen Zeh am rechten Fuß eines Australiers. Dieser bäumt sich auf vor Schmerz, der Medizinmann ist zufrieden, drückt fester zu, und sein Patient schreit wie am Spieß. Für alle Herumsitzenden wird auf einmal klar: Das kann ins Mark gehen. Es ist wie der Moment in "Harry Potter", in dem man plötzlich die Magie als Realität erkennt, obwohl man sie als Realist ablehnt.

Fünf Minuten, zehn Minuten, länger dauert keine der Behandlungen – und keine wird solche extremen Reaktionen hervorrufen wie die des Australiers. Der hat auch noch seinen 16-jährigen Sohn mitgebracht, einfach so zur Standarduntersuchung. Der Heiler murrt, schnauft, findet nichts. Die Seele des Jungen habe noch keine Verletzungen. "You must make love first, love is delicious", er lacht und schnalzt mit der Zunge. Der Teenager möchte am liebsten vor Scham im Boden versinken. Wer will vor wildfremden Menschen seine Jungfräulichkeit offenbart wissen?

Jaja, die Leber

Dann ist man selbst an der Reihe. Der Alte fummelt im Gesicht, im Nacken, an der Schulter herum. Warum man bei ihm sei, fragt er verständnislos. Kontrolluntersuchung? Er macht sich nun an den Zehen zu schaffen: "aha, Leber, viel Alkohol". Er drückt seinen Holzstab ins Fleisch, zum Glück tut es nicht weh wie beim Australier. Dann kommt der ultimative Rat: "kein Alkohol auf leeren Magen". Das würde der Hausarzt in Europa vermutlich genauso sehen. (Ulf Lippitz, RONDO, 2.3.2018)

Die Reise erfolgte teilweise auf Einladung von Como Shambhala Estate und Amandari.