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Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Russlands Präsident Wladimir Putin.

Foto: REUTERS/Grigory Dukor

Zumindest äußerlich gab sich Österreichs neuer Bundeskanzler Sebastian Kurz gelassen vor dem Treffen mit Wladimir Putin in Moskau. Er sei weder das erste Mal in der russischen Hauptstadt, noch sei es seine erste Begegnung mit dem Kreml-Chef, betonte er bei einem Journalistengespräch am Mittwoch. "Diese Reise ist ein Stück weit die Fortsetzung unseres OSZE-Vorsitzes", währenddessen der Kontakt zu Russland sehr intensiv gewesen sei, erklärte er.

In der Ostukraine sieht Kurz ein wenig Bewegung ("ZiB 17"-Beitrag).
ORF

Kurz wählte den Verweis auf die OSZE bewusst. Die Reise ist heikel, die FPÖ als Regierungspartner hatte vor der Wahl ein Ausscheren Wiens aus der gemeinsamen europäischen Politik gegenüber Russland und ein Ende der Sanktionen gefordert. In Moskau hatte es daher auch Spekulationen gegeben, dass die neue Regierung in Wien zu Zugeständnissen gegenüber dem Kreml bereit sein werde. "Wir sind eine proeuropäische Bundesregierung", bemühte sich Kurz dem Eindruck, entgegenzutreten, in Moskau einen Alleingang zu starten.

Dialog und Abbau der Spannungen ja, Aufhebung der Sanktionen aber erst nach Fortschritten bei der Umsetzung des Minsker Abkommens, so die Linie der österreichischen Regierung. Beim Treffen mit Putin ließ Kurz dabei durchblicken, dass Wien gewillt ist, bei der Lösung der Ukraine-Krise eine stärkere Rolle zu spielen. Seit Monaten schon nämlich wird um die Entsendung einer internationalen Blauhelmtruppe in die Donbass-Region zur Überwachung des Waffenstillstands gestritten. Zunächst von Kiew angeregt, griff Moskau den Gedanken auf, forderte aber, das Mandat allein auf Sicherungsaufträge entlang der Konfliktlinie zu begrenzen. Die Ukraine will hingegen auch die Grenze zu Russland von den Beobachtern kontrollieren lassen. Streit gibt es zudem um die Zusammensetzung der Truppe.

Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kurz signalisierte der russische Präsident die Bereitschaft, über das Mandat einer eventuellen Blauhelmtruppe weiter im Gespräch zu bleiben. Gleichzeitig forderte er Kiew jedoch auf, in direkte Verhandlungen mit den selbst ernannten, international nicht anerkannten "Volksrepubliken" im Donbass zu treten – für die Ukraine bisher ein unzumutbares Szenario.

Auch Poroschenko für Blauhelmeinsatz

Österreich jedenfalls könnte als neutraler Staat bei einem solchen Blauhelmeinsatz Verantwortung übernehmen, schlug nun Kurz vor. "Wir stehen hier grundsätzlich bereit", sagte er in Moskau. Mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko hatte sich der Kanzler bereits im Vorfeld seiner Moskau-Reise telefonisch über diesen Punkt verständigt.

Der Vorschlag könnte neue Dynamik in die zuletzt erlahmende Debatte um den Blauhelmeinsatz bringen. Eine Realisierung der Mission ist aber alles andere als sicher, dazu müssten die Ukraine und Russland beide zustimmen. In der Ukraine wird 2019 gewählt, was Unsicherheit birgt. Die Wiederwahl Putins in drei Wochen gilt zwar als sicher, doch noch lässt sich der Kreml-Chef alle Optionen offen.

Als Anreiz für ein Entgegenkommen könnten die Europäer die Verwirklichung wirtschaftlicher Prestigeprojekte anbieten. Der kremlnahe Energieversorger Gazprom ist beispielsweise stark an der Pipeline Nord Stream 2 interessiert, auch eine Südroute – sei es South Stream oder Turk Stream – ist im Interesse Putins, um durch verstärkten Rohstoffexport die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Kreml will Normalisierung

Für Putin stehen kurz vor der Wahl vor allem wirtschaftliche und soziale Fragen im Mittelpunkt. Diese haben nach Einschätzung des Moskauer Soziologen Andrej Kolesnikow das höchste Mobilisierungspotenzial bei den russischen Wählern – und das ehrgeizige Ziel der Kreml-Verwaltung besteht aus 70 Prozent Wahlbeteiligung und 70 Prozent Ja-Stimmen für Putin. Dementsprechend fokussierte sich der russische Präsident beim Treffen mit Kurz auf den wieder angesprungenen bilateralen Handel. "Im vergangenen Jahr haben wir einen Anstieg von mehr als 40 Prozent beim Warenaustausch gesehen", sagte er.

Die Zahlen sind zunächst einmal nur Ausdruck des wieder gestiegenen Ölpreises. Doch eine Normalisierung der Beziehungen nach Europa ist für Russland aus wirtschaftlicher Sicht wichtig. Nach drei Jahren Krise gab es 2017 das erste Mal wieder Wachstum in Russland. Doch das Tempo ist gering und bleibt es wohl vorerst auch.

Die US-Sanktionen schrecken Investoren, Moskau fürchtet zudem, dass sie darauf abzielen, Russland Anteile auf dem europäischen Öl- und Gasmarkt streitig zu machen. Um die eigene Marktstellung in Europa zu behaupten, muss das politische Verhältnis wieder gekittet werden. Kurz kommt als Vermittler recht. Zumindest betonte er in Moskau, die EU solle in Energie- und Sanktionsfragen "unabhängig und selbstständig" Entscheidungen treffen. (André Ballin und Gerald Schubert aus Moskau, 28.2.2018)