Das Wiener Jugendcollege wäre von den Kürzungen stark betroffen, weil es zu einem Viertel aus AMS-Mitteln finanziert wird. 1.000 Flüchtlingen zwischen 15 und 21 wird dort seit Herbst 2016 vor allem Deutsch beigebracht. Ziel ist, danach fit für den Schulabschluss oder einen Jobeinstieg zu sein.

Foto: PID / Martin Votava

Wien – Eigentlich wollten Wiens Bildungs- und Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) und der Chef des Fonds Soziales Wien und Flüchtlingskoordinator Peter Hacker am Mittwoch nur Positives berichten – sie luden zu einer Bilanz des großangelegten EU-Projekts Core (sechs Millionen Euro Gesamtbudget), das es Geflüchteten mit verschiedensten Maßnahmen rasch ermöglichen soll, auf eigenen Beinen zu stehen.

Die am Dienstag von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) präsentierten Kürzungen zum Erreichen eines Nulldefizits – Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik sollen um 588 Millionen Euro sinken – lassen den Stadtrat aber "erschüttert" zurück. "Integratonspolitik heißt vor allem eines: Arbeiten. Die Alternative Zuschauen können wir uns nicht leisten. Als ehemaliger Staatssekretär für Integration zeugt diese Entscheidung von besonderer Chuzpe."

"Diskutieren lieber über Pferde"

Durch die geplanten Kürzungen gefährdet wäre das Jugendcollege für Flüchtlinge in Wien, das zu einem Viertel über das AMS finanziert wird. An zwei Standorten und mit 1.000 Plätzen geht es dort vor allem um Basisbildung für 15- bis 21-Jährige.

Der Kritik schließt sich auch Flüchtlingskoordinator und FSW-Chef Hacker an. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso man die positive wirtschaftliche Entwicklung nicht für Investitionen nutze. "Offensichtlich diskutieren wir lieber über Pferde mit Blaulicht als über Maßnahmen, die Menschen helfen." Die Kürzungen träfen die ganze Bevölkerung – vor allem aber Menschen über 50 und jene ohne Pflichtschulabschluss.

Unkommentiert ließen auch die Gewerkschaft und die Arbeiterkammer die Sparpläne nicht. Mehr statt weniger Mittel fordert etwa AK-Präsident Rudolf Kaske. Bernhard Achitz, leitender Sekretär des ÖGB, sagt, die Regierung agiere nach dem Motto "Strafen statt unterstützen" und gefährde auch die Ausbildung der dringend benötigten Fachkräfte.

Einladung an Kurz

Czernohorszky appelliert an die Verantwortlichen, sich nochmals Gedanken über die Einsparungen zu machen. "Kürzungen bei der Integration schaffen nur Probleme. Ich würde den Bundeskanzler gern zum Jugendcollege einladen, damit er sieht, wie wichtig das Projekt ist."

Das gelte auch für die Core-Projekte, die noch bis Ende 2019 von der EU gefördert werden. "Eine Kostendeckung durch die EU von 80 Prozent ist eine Besonderheit und zeigt, wie sinnvoll die Initiative ist", sagt Hacker. Die Magistratsabteilung für Integration und Diversität, der Fonds Soziales Wien, der Stadtschulrat, die Wirtschaftsagentur und der Waff (Wiener Arbeitnehmer-Förderungsfonds) bearbeiten Core gemeinsam. Unter anderem werden Flüchtlinge über Selbstständigkeit beraten, zu Lehrern ausgebildet oder auch als Peer-Mentoren geschult.

Schritt für Schritt in die Arbeitswelt

Eine solche Mentorin ist Eliza Tovzuralieva, die in ihrem Heimatland Tschetschenien Medizin studierte und eine Fachausbildung zur Neurologin abschloss. Im Rahmen des Projekts unterstützt sie Schwangere und junge Mütter mit Fluchthintergrund. "Viele haben vor allem sprachliche Barrieren und wollen wissen, wo es Dolmetscher gibt. Aber auch Fragen zum medizinischen System in Österreich ganz allgemein höre ich oft", sagt sie. Über das Projekt fand sie auch ein Volontariat: Ab April wird sie in der Ambulanz des Gerontopsychiatrischen Zentrums arbeiten.

Der 29-jährige Yusuf Alnuri fand hingegen an eine Schule. Weil er als Asylwerber noch nicht arbeiten darf, unterstützt er als Freiwilliger für zehn Stunden pro Woche Lehrer an einer Volksschule in Ottakring. Falls er in Österreich bleiben kann, will er regulär als Lehrer arbeiten. Alnuri ist einer von 21 Freiwilligen, die bisher an 17 Wiener Volksschulen und vier Neuen Mittelschulen tätig sind.

Geflüchtete Lehrer mit anerkanntem Bleiberecht beziehungsweise dauerhaftem Schutz konnten im Rahmen des Projekts an einem von der Uni Wien organisierten Zertifikationskurs teilnehmen. Neben dem Asylstatus sind dafür mindestens auch ein Bachelorabschluss und ausreichende Deutschkenntnisse notwendig. 23 Teilnehmer absolvieren derzeit das Angebot, ab Herbst können sie unterrichten. (Lara Hagen, 28.2.2018)