Wenn nun die deutsche Justiz Fahrverbote für Dieselkraftfahrzeuge in besonders belasteten Gebieten für rechtlich zulässig erklärt, so kann man ihr zumindest eines nicht vorwerfen: rechtliche Inkonsequenz. Denn der europäische Gesetzgeber hat sich bereits im Jahr 1996 erstmalig auf Grenzwerte für die maximal zulässige Schadstoffbelastung der europäischen Luft geeinigt. Diese Grenzwerte sind überdies bis heute sehr großzügig ausgelegt und betragen teilweise ein Mehrfaches der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Richtwerte.

Und Grenzwerte sind nun einmal dazu da, eingehalten zu werden. Das sieht auch der Europäische Gerichtshof so, der bereits im Jahr 2008 auf Grundlage der geltenden europäischen Richtlinien und ohne große juristische Überraschungen entschied, dass die in den Luftqualitätsrichtlinien vorgesehenen Grenzwerte und Maßnahmen auch umzusetzen sind. In seinem Urteil verpflichtete er die nationalen Behörden nicht nur zu wirksamen Aktionsplänen zur Reduktion der Schadstoffbelastung der Luft, sondern legte überdies fest, dass betroffene Bürger auch die Möglichkeit haben müssen, derartige Rechte gegenüber den Behörden gerichtlich durchzusetzen (C-165/09 bis C-167/09).

Für die Rechtsstrukturen in Deutschland, wo der Fall seinen Ausgang nahm, bedeutete das Urteil zwar einen Schock, aber immerhin war man in Deutschland auch so konsequent, das Urteil des EuGH zu respektieren und umzusetzen. Nicht so in Österreich: Bis heute verabsäumte es der Gesetzgeber hier, die Gesetzeslage so an die europarechtlichen Vorgaben anzupassen, dass betroffene Bürger ihre Rechte auf Erstellung wirksamer Aktionspläne zur Luftreinhaltung auch gerichtlich durchzusetzen vermögen.

Langsamere Uhren

Vielleicht mag das daran liegen, dass die österreichischen Uhren etwas langsamer ticken als die deutschen, und zehn Jahre hierzulande einfach nicht genug sind, um Urteilen der höchsten europäischen Rechtsinstanz Folge zu leisten. Vielleicht mag es auch daran liegen, dass saubere Luft und Bürgerrechte in unserem Land nicht jenen Stellenwert genießen wie bei unseren Nachbarn.

Das alles ändert aber wenig daran, dass europäisches Recht nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich gilt. Und dass nicht nur unsere deutschen Nachbarn Probleme mit der Luftqualität in ihrem Land haben, sondern auch wir Österreicher: Seit dem Jahr 2001 führen die Grazer Luftgütemessstationen das Ranking jener Stationen mit den meisten Feinstaub-Grenzwertüberschreitungen Österreichs an. Auch wenn die Anzahl an Tagen mit Feinstaub-Grenzwertüberschreitungen über die Jahre zurückgegangen ist, so liegt die Schadstoffbelastung im Grazer Becken mehr als 20 Jahre nach Kundmachung der ersten Luftqualitätsrichtlinien noch immer über den gesetzlich zulässigen Grenzwerten.

Aktionspläne zur Luftreinhaltung hat es in Graz seitdem viele gegeben. Das Ziel, damit die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten, haben sie jedoch allesamt verfehlt. Der EuGH fordert von den Behörden jedoch nicht nur irgendwelche, sondern wirksame Aktionspläne. Und er räumt den Bürgern das Recht ein, den Erlass solcher Aktionspläne auch mit rechtlichen Mitteln durchzusetzen. Denn im Gegensatz zum österreichischen Gesetzgeber erkennt er zu Recht, dass alles andere auf eine Pflanzerei der betroffenen Bürger hinauslaufen würde.

Es ist nur eine Frage einer – relativ kurzen – Zeitspanne, bis auch unsere österreichischen Behörden und Politiker die gesetzlichen Vorgaben des Europarechts nicht mehr ignorieren werden können. In Städten wie Graz werden sie dann zwischen Heizverboten für Wohnhäuser oder Fahrverboten für Kraftfahrzeuge wählen dürfen. (Michael Radhuber, 28.2.2018)